Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
nur ansatzweise beeinflusst hätte, entzog sich seiner Kenntnis. Wie viel sie ihm bedeutete, wusste sie ohnehin. Das hatte er ihr ja in dem Mietstall in La Rochelle unmissverständlich klargemacht. Geändert hatte es allerdings wenig.
Ihre Entscheidung war gefallen – ganz gleich, was er davon hielt. Ausrichten konnte er wenig dagegen, denn er wusste ja nicht einmal, wohin sie verschwunden war. Und er hatte das Gefühl, die fremde Frau würde schon dafür sorgen, dass er Sophie nicht wiederfand.
Hinzu kam jene ominöse Mahnung, er werde in Pontesse gebraucht – eine Warnung, die ihm trotz all der anderen Sorgen doch sehr zu denken gab. Tatsächlich war er schon länger von daheim fort, als ursprünglich gedacht. Was mochte die Unbekannte wohl gemeint haben? Ob der Gesundheitszustand seines Vaters sich noch weiter verschlechtert hatte? Straff im Sattel aufgerichtet, atmete er tief durch und mahnte sich, seine Pflichten trotz allem nicht zu vergessen.
Sophie hatte behauptet, sie träume nicht mehr von ihm. Von einer Frau, die so viel Wert auf ihre Träume legte, konnte es keine deutlichere Abfuhr geben.
Gequält schloss er die Augen, wusste er doch, dass sich Sophie und jenes Netz, welches sie um sein Herz gesponnen hatte, nicht so leicht aus seinen eigenen Träumen verbannen ließ – einerlei, was ihn auf Château Pontesse auch erwarten mochte.
Auf dem Marsch durch den Wald legte die Unbekannte ein erstaunliches Tempo vor, sodass Sophie Mühe hatte, mit ihrer Begleiterin Schritt zu halten. Tausend Fragen drängten sich ihr auf, doch sie war viel zu sehr außer Atem, um sie überhaupt stellen zu können. Dornensträucher zerkratzten ihr die Hände, während sie der Fremden über einen kaum erkennbaren Pfad folgte und die Bäume sich immer dichter um sie herum schlossen. Die Schatten ringsum wurden tiefer und die Luft immer dichter. Sophie glaubte schon, dass sie sich nicht weiter durchs Dickicht würden kämpfen können, als sie endlich und unerwartet durch ein letztes Gebüsch brachen und sich auf einer kleinen Lichtung wiederfanden.
Sie war nicht größer als zwanzig Schritte von einer Seite zur anderen, doch inzwischen lugte die Wintersonne über die Tannenspitzen und erhellte dieses geschützte Plätzchen. Die Luft war fühlbar kühler und reiner hier, und die frühmorgendliche Sonne gab Sophie das Gefühl, als nehme sie förmlich das Licht in sich auf, besonders nach den drohenden Schatten des Waldes. Während sie sich umsah, vernahm sie das Gluckern von Wasser, woraus sie schloss, dass das Bächlein wohl ganz in der Nähe floss. Eine windschiefe Hütte stand, ins Halbdunkel der Bäume geschmiegt, am anderen Ende der Lichtung, versehen mit einer Feuerstelle aus rußgeschwärzten Steinen und umgeben von einem Gestrüpp aus Unterholz.
So spät im Jahr wirkten die meisten Pflanzen verwelkt, die Äste überwiegend nackt, die letzten noch verbliebenen Blätter vertrocknet und braun. Als Sophie einen Schritt in das Gewirr aus Unterholz tat, schlug ihr sofort der Duft von Minze entgegen. Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie ein kleines Gewächs mit grünen Blättern, das hier unbeirrt im Schutz der ringsum ruhenden Pflanzenwelt wuchs. Auf dieses Pflänzlein war Sophie getreten, und als sie sich bückte und die Blätter zwischen den Fingern zerrieb, stieg ihr abermals jener erfrischende Geruch in die Nase.
Plötzlich kam es ihr so vor, als sei ihr Geruchssinn zum ersten Mal im Leben voll erwacht, denn neben dem Minzegeruch entdeckte sie noch ein anderes, weit würzigeres Aroma. Nach kurzer Suche stießen ihre Finger auf jenen abgestorbenen Ast, dem dieser Geruch entströmte, doch sie kannte weder dessen Namen noch jenen der Pflanze gleich daneben, die so aussah wie die gefüllten Brathühnchen daheim bei Hélène. Allmählich wurde der verschlungene Wirrwarr der Sträucher in Sophies Augen immer klarer, und als sie noch einmal den Blick darüberschweifen ließ, stieß sie auf eine Vielzahl unterschiedlichster Pflanzen nebst den ihnen eigentümlichen Düften und Aromen.
„Wie viele davon sind dir bekannt?“, fragte die Frau leise.
Sophie schaute auf und sah deren blassen Blick auf sich gerichtet. „Mit Namen nur wenige“, gestand sie und wusste nicht recht, ob sie sich nur einbildete, dass sich der Mund der Fremden zu einem schmallippigen Strich verkniff.
„Und wozu braucht man sie?“, fragte die Frau scharf, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete Sophie
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