Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
persönlich macht er einen recht gebrechlichen Eindruck.“
Nur mit äußerster Anstrengung konnte Hugues ein Schaudern unterdrücken. Schon bei dem Gedanken daran, dass er nun ins Krankenzimmer musste, um seinen Vater zu begrüßen, überlief ihn eine Gänsehaut. Er roch ihn förmlich, den Gestank der Krankheit, der ihn stets so in Angst und Schrecken versetzte.
Und sein Vater, der einstige Krieger, war nun zweifelsohne noch schwächlicher als bei ihrem letzten Zusammentreffen. Hugues schluckte mühsam und zwang sich, seine Gedanken auf handfestere Dinge zu lenken.
„Ist denn schon Kunde aus Burg Fontaine eingetroffen?“, wollte er wissen. Seine Frage zielte auf die erwartete Niederkunft seiner Schwester Louise. Doch Gervais verzog nur das Gesicht, sehr zu Hugues’ Verdruss. Er stieg aus dem Sattel, wobei er seinem Knappen mit einem Blick bedeutete, dass er die Pferde dem Stallburschen überlassen konnte, den er mit einem kurzen Ruck des Kopfes herbeibeorderte. Im Gleichschritt stapfte er dann mit Gervais auf den Eingang zum Rittersaal zu. Dass der Sohn des Burgverwalters offenbar bewusst mit etwas hinter dem Berg hielt, gefiel ihm ganz und gar nicht. „Los, heraus mit der Sprache!“, befahl er ungeduldig.
„Nun, Chevalier, äh … Eure Frau Schwester ist persönlich aus Fontaine angereist“, gab Gervais widerstrebend zu.
„Was höre ich da?“ Hugues war entsetzt. Es leuchtete ihm nicht ein, wieso Louise so etwas tun sollte.
Gervais lächelte ihm zerknirscht zu. „Sie dachte wohl, eine Geburt würde Euren Herrn Vater aufheitern“, bemerkte er, worauf Hugues sich eine heftige Antwort verkneifen musste. Was ihn so peinigte, war die Vorstellung, es nunmehr gleich mit zwei Pflegefällen zu tun zu haben. Louise meinte es sicherlich gut, das wollte er ihr durchaus nicht absprechen, aber er hatte doch inständig gehofft, ein Wiedersehen mit den beiden würde ihm erspart bleiben, solange die zwei nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte waren.
„Und Justine? Was hat die während meiner Abwesenheit wieder für Schabernack ausgeheckt?“, wollte er wissen, wobei er hoffte, dass wenigstens ein Familienmitglied keinen Anlass zur Sorge bot. Allerdings wurde er ein weiteres Mal enttäuscht, denn Gervais legte nachdenklich die Stirn in Falten.
„Soweit ich weiß, nichts“, antwortete er bedrückt. Sein Blick sprach indes Bände. „Nur ist sie für mein Gefühl zu schweigsam.“
Hugues verdrehte grinsend die Augen und gab seinem Begleiter einen Klaps auf die Schulter, während sie mit eingezogenen Köpfen den Saaleingang durchschritten. „Meistens hast du ein treffliches Gespür, Gervais; ich nehme an, du sprichst ein wahres Wort. Man darf wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Justine nichts als Unfug im Kopf hat, auch wenn sie ganz unschuldig tut.“
Gervais lachte. „Aye, Milord.“
„Und wie geht es deinem Vater?“, fragte Hugues höflich. „Gut, will ich doch hoffen?“ Erleichtert atmete er auf, als Gervais die Frage mit einem nachdrücklichen Kopfnicken beantwortete. Endlich mal jemand, der gesund war!
„Ja, er lässt es sich auch weiterhin nicht nehmen, uns allesamt zu schikanieren“, bestätigte der Kastellanssohn mit einem Schmunzeln, worauf Hugues ebenfalls mit einem Grinsen reagierte, als er sah, dass der Burgverwalter auf sie zukam.
Eduard, Gervais’Vater, stellte geradezu das Muster des tüchtigen, erfahrenen Burgvogts dar – geradlinig im Auftreten, in der Haltung so förmlich wie ein königlicher Seneschall und obendrein von einem Tatendrang, der sein tatsächliches Lebensalter Lügen strafte. Solange Hugues zurückdenken konnte, war Eduards Haar immer schon grau gewesen, inzwischen jedoch verblichen zu einer wallenden, schlohweißen Mähne, die ihn noch würdevoller erscheinen ließ.
„Willkommen daheim, Milord“, begrüßte er Hugues formvollendet. Seinen Sohn entließ er mit einem kurzen Kopfnicken, worauf dieser sich unauffällig entfernte. Es stand Gervais nicht zu, einem Gespräch zwischen dem Burgvogt und dem Sohn und Erben des Burgherrn beizuwohnen. Hugues befürwortete es zwar, dass der Kastellan sich an die Gepflogenheiten der Hofetikette hielt, doch gleichzeitig hoffte er auch, er würde einmal einen Verwalter haben, der ihn ebenfalls über die Vorgänge in den unteren Rängen der Burghierarchie auf dem Laufenden halten würde, wie Gervais es tat.
„Hab Dank, Eduard“, gab Hugues ebenso förmlich zurück. „Ich nehme an, meinem Vater geht es gut.“
„Zu meinem
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