Ruf der Sehnsucht
über ihre hohen Wangenknochen zu ihren flatternden Lidern unter den Brauen war, deren Schwung er mit der Fingerspitze nachgezeichnet hatte. Er hatte einmal eine römische Münze gesehen, und das darauf geprägte vollkommene Profil hatte ihn an sie erinnert.
Jetzt waren ihre schönen Augen, deren Grau ihn an Nebel und Gewitterwolken und den Rauch eines Torffeuers gemahnte, hinter dicken Brillengläsern verborgen. Leise lachend flüsterte eine Stimme in seiner Erinnerung.
»Ich fürchte, ich bin eitel, Douglas. Wenn ich die Brille aufsetzen würde, könnte ich dich besser sehen, aber ich bin so hässlich damit.«
»Nichts könnte dich in meinen Augen jemals hässlich machen, Jeanne«, hatte er erwidert, und seine Stimme vibrierte vor Begehren und jugendlichem Überschwang. Er war so verliebt gewesen, so über alle Maßen verliebt, dass er Jeanne als absolut vollkommen ansah.
Sie hatte die Arme um ihn geschlungen und ihn zärtlich geküsst.
»Dann werde ich mich auch immer schön finden, Douglas.«
Wieder kehrte er aus der Vergangenheit zurück – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Frau, Jeanne, die ihn bisher nur mit einem desinteressierten Blick gestreift hatte, ihn plötzlich wahrnahm. Ihre Augen weiteten sich, ihre Züge gefroren.
Das Mindeste, was er erwarten konnte, war, dass sie sich vor ihm fürchtete.
Aber sie schien die Fähigkeit verloren zu haben, seine Gedanken zu lesen – sonst wäre sie entweder aus dem Zimmer geflohen oder hätte ihn angefleht, ihr zu vergeben.
Er würde ihr nie vergeben.
Sein Gastgeber schnippte mit den Fingern, und sofort drehte Jeanne sich um und zog den kleinen Jungen mit sich zur Tür hinaus. Weder sie noch der Kleine warf einen Blick zurück, aber Douglas schaute ihr noch nach, als die Tür sich schon hinter ihr geschlossen hatte.
Robert Hartley grinste. »Wie ich sehe, hat die Gouvernante Euch beeindruckt. Ich kann es Euch nachfühlen. Wenn man sich die hässliche Brille wegdenkt, ist sie wirklich ein Leckerbissen.«
Douglas streckte die Hand aus, um das geätzte Kristallglas entgegenzunehmen, das ihm gereicht wurde, und bemerkte geistesabwesend, wie sich das Licht der Kerzen des nicht weit entfernt von ihm stehenden mehrarmigen Leuchters darin brach. Er fror und fragte sich, weshalb ihm die Kälte nicht früher aufgefallen war.
Gouvernante?
Langsam wandte Douglas sich seinem Gastgeber zu und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Ihre Gouvernante ist in der Tat eine hübsche Frau.«
Hartleys Grinsen wurde anzüglich. »In ein paar Tagen wird sie mehr als nur Gouvernante sein. Meine Frau steht nach der Geburt unseres jüngsten Kindes noch nicht wieder zur Verfügung, und ein Mann hat Bedürfnisse.«
»Und die Gouvernante geht mit Euren Absichten konform?« Seltsamerweise verriet Douglas’ Stimme nichts von dem Tumult in seinem Innern. Sie klang ruhig und fest – und nur höflich interessiert.
»Was hat sie für eine Wahl? Schließlich ist sie nur eine Gouvernante. Sie mag die Nase hoch tragen, aber am Ende wird sie tun, was notwendig ist, um ihre Stelle zu behalten.«
Douglas stellte sein Glas vorsichtig auf den Messinguntersetzer neben sich.
Der Raum, in dem sie saßen, war im Gegensatz zum übrigen Haus behaglich, ohne protzig zu sein. Allerdings waren die Werke mit den goldgeprägten Rücken in den geschosshohen Wandschränken ihrem Umfang nach geordnet anstatt nach Themen oder Autorenalphabet, was Douglas zu der Überlegung veranlasste, ob Hartley einer dieser Männer war, die ihre Bibliothek eher nach Gewicht als nach Inhalt bestückten.
Der Anlass für Douglas’ Besuch war rein geschäftlich. Hartley war kein Freund, sondern ein Kunde, und zwar einer, der in den Import französischer Textilien einsteigen wollte. Bis vor wenigen Minuten war der Abend erträglich gewesen.
»Ihr hättet sie vor ein paar Monaten sehen sollen. Sie kam völlig abgemagert in mein Haus, aber inzwischen hat sie hübsche Rundungen bekommen.«
Douglas lehnte sich scheinbar locker zurück, doch innerlich war er gespannt wie eine Bogensehne. »Habt Ihr sie selbst eingestellt?«
Hartley blickte grinsend in sein Glas. »Es war meine Ehefrau, die sie ins Haus brachte. Die Tante des Mädchens war offenbar eine Freundin meiner Schwiegermutter. Ein Jammer, dass Jeanne sich entschlossen hat, Gouvernante zu werden. Mit ihrem Aussehen würde sie eine erstklassige Kurtisane abgeben.«
Der Zorn, den diese Worte in Douglas weckten, überraschte ihn. Wahrscheinlich hatte ihn
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