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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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vor der Brust. »Hat mir übrigens Patrick verraten – er hat ihre Mutter beim Lunch ein bisschen ausgequetscht. Ach, und hast du mitgekriegt, was für Sonderwünsche die junge Lady hatte? Eine dickere Bettdecke, einen Internetanschluss für ihren Laptop … und dieses Lächeln, das sie draufhat, wirkt anscheinend Wunder, denn sie hat das alles sogar bekommen!«
    Leon antwortete nicht. Ihm war elend zumute, und was Billie erzählte, rauschte zum größten Teil an seinen Ohren vorbei. Wo war die Nähe hin, die er sonst so oft zu den anderen gespürt hatte? Wenn sie zu viert am runden Tisch im OceanPartner-Modul saßen und sich gegenseitig bei den Hausaufgaben halfen … wenn sie beim Küchendienst herumalberten … wenn sie sich für ihre Geocaching-Ausflüge wilde Storys ausdachten … wenn einer von ihnen aus den Ferien auf dem Festland zurückkam und sie sich spät in der Nacht heimlich die mitgebrachten Schätze teilten.
    Hoffentlich kehrte dieses Mädchen – ob reich oder nicht, ob verwöhnt oder nicht – möglichst bald wieder nach oben zurück! Vielleicht wurde dann endlich wieder alles so wie früher.

Freaks
    Leon wollte nur eins – raus ins Meer, mit nichts als seiner OxySkin am Leib, eins werden mit dem Meer, mit der Dunkelheit. Doch das ging nicht. Verdammter Mist!
    »Hey, alles in Ordnung?« Billie legte ihm den Arm um die Schultern und drückte ihn; das machte sie manchmal und dabei kam sie ihm noch mehr als sonst wie eine ältere Schwester vor.
    »Ja – alles klar«, stieß Leon hervor; dann behauptete er, noch Physik und Chemie lernen zu müssen, und verzog sich in das Quartier, das er und Julian miteinander teilten.
    Leon und Lucy. Ein perfektes Paar. Die Bemerkung hatte sich in ihm festgesetzt wie ein schlechter Nachgeschmack in seinem Mund. Leon warf sich auf seine schmale Koje und starrte zur Stahldecke von Benthos II hoch. Er schottete sich nicht oft gegen Lucy ab, doch diesmal tat er es, und zum Glück begriff sie, dass es keinen Sinn hatte, ihn zu drängen. Sanft wie eine Feder, die über seine Seele strich, zog sie sich aus seinem Kopf zurück.
    Leon suchte in sich nach der Wut von vorhin und fand nur Verwirrung und Scham. Nein, diese Neue war weder besonders blöd noch unsensibel. Wahrscheinlich hätte jeder andere von oben genauso auf ihn reagiert. Wie Carima ihn wohl sah – als eigenartigen Typen, ein bisschen irre, mit nichts als Fischen im Kopf und keinem Schimmer vom normalen Leben? Und das Schlimmste daran war, es stimmte. Er war von der San Diego School of the Sea, einem Meeres-Internat, direkt auf die Tiefseestation gekommen und nach vier Jahren in Benthos II war seine Erinnerung an oben sehr fern, fast unwirklich. Die gelegentlichen Ausflüge mit Tim hatten daran nicht viel geändert. Kino, Musik, Bücher, Politik? Null. Nichts. Es war ewig her, dass er zuletzt die Nachrichten geschaut hatte. Er kannte sich auf den Galapagos-Inseln aus, hatte in den Kelpwäldern vor der kalifornischen Küste mit Seelöwen gespielt, war im Tauchboot auf fünftausend Meter Tiefe gewesen und in der OxySkin immerhin auf tausend – na und? Wen zum Teufel interessierte das schon? Garantiert niemanden von oben , der das Meer nur als hübsche silbrige Fläche kannte oder als Geplätscher, in das man kurz mal den Zeh reinsteckte.
    Wie Carima ihn angeschaut hatte! Ja, zu allem Übel sah er wahrscheinlich auch noch seltsam aus. Zu groß, zu schlaksig, zu blass. Wenn er die OxySkin trug, fühlte er sich anders, ausgeglichen, vollständig. Aber wahrscheinlich wirkte er darin wie ein Alien. Nicht mal seine Augen sahen noch menschlich aus. Ausdruckslose schwarze Spiegel blickten zurück, wenn er sich zufällig im Glas eines Bullauges sah. Hightech-Linsen mit Restlichtverstärkern eben.
    Er wollte nicht mehr über all das nachdenken, es tat zu weh, doch die Gedanken droschen unaufhaltsam auf ihn ein. Carima hatte recht, was war das eigentlich für ein Leben hier unten? Andere Jungen seines Alters trafen sich längst mit Mädchen, hatten vielleicht sogar schon Sex – und er? Fehlanzeige. Er hatte noch nie ein Mädchen geküsst. Seine Gefährtin, seine beste Freundin, war nicht mal ein Mensch. Einen Moment lang sah er Lucy im Geiste so, wie sie einem Menschen von oben erscheinen musste: ein knochenloses Wesen mit einem warzig-faltigen Hautsack als Körper und acht sich windenden Armen, deren Saugnäpfe nur darauf warteten, zuzupacken. Ein Monster. Ein Geschöpf, dem man höchstens auf seinem Teller im

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