Ruf Der Tiefe
Restaurant gerne begegnete, aber dann bitte ein paar Nummern kleiner. Ja, irgendwann mal – bei einem Urlaub mit Tim in Deutschland – hatte er »Calamari« auf einer Restaurantkarte gelesen und prompt war ihm schlecht geworden.
Die Tür des Quartiers schwang auf, Julian war zurück. Fröhlich pfeifend schälte er sich aus dem heizbaren Thermo-Overall, den man im Hardsuit tragen musste. Ein Geruch nach Schweiß und ungewaschenen Füßen stieg Leon in die Nase. »Das war der Wahnsinn«, erzählte Julian. »Carag hat ihr sofort aus der Hand gefressen, und dann hatten wir auch noch Glück und haben einen schneeweißen Kraken gesehen, kaum so lang wie meine Hand, natürlich fand Carima den total süß, und dieses Anglerfisch-Weibchen war da, du weißt schon, das unter der Station lebt und das du manchmal fütterst … He, was ist eigentlich los mit dir?«
Leon stützte sich auf einen Ellenbogen und schaute Julian an. Er fühlte sich so durcheinander und angeschlagen wie nach seinem Unfall in der Nähe des Kohala Canyons. »Sag mal, Julian, sind wir Freaks?«
»Klar, wieso auch nicht?« Julian lachte. »Immerhin, wir sind die coolsten Freaks auf dieser Seite des Pazifiks. Was ist, kommst du mit zum Essen?«
»Ja«, murmelte Leon und überwand sich, aufzustehen.
Carina machte es Spaß, Zeit mit Julian zu verbringen. Wie sich herausstellte, wohnte seine Familie in einem heruntergekommenen Viertel in Los Angeles und dachte, er sei in so einer Art Sport-Internat. »Ich glaube, sie wollen es gar nicht so genau wissen – der größte Teil der Familie lebt von dem, was ich hier verdiene«, erzählte Julian grinsend.
Carima war beeindruckt. »Aber musst du nicht fürs College sparen oder so was?«
»Ich schlag mich schon so durch«, sagte Julian und seine Augen verloren den heiteren Schimmer, wurden nüchtern, fast hart. Aber nur einen Moment lang, dann begann er eine witzige Geschichte darüber, wie dämlich er sich in seiner ersten Zeit auf der Station angestellt hatte. Sein Gesicht war ganz nah vor ihr, und Carima dachte darüber nach, wie es wohl wäre, ihn zu küssen. Einfach so, aus Spaß, um zu sehen, wie er dann dreinschaute. Sie wettete, dass es ihm gefallen würde, dass er nur darauf wartete.
Aber dann tat sie es doch nicht, und es fiel ihr auch schwer, sich auf seine Geschichte zu konzentrieren. Sie war fast erleichtert, als Julian sich schließlich an seinen Aufsatz setzen musste und verabschiedete.
Ihr Gewissen stach sie. Hatte sie Leon vorhin gekränkt mit dem, was sie gesagt hatte? Hoffentlich nicht. Kein toller Vergleich, das mit dem Knast – wieso war ihr das bloß herausgerutscht? Wenn man die Station gewohnt war, konnte man es hier unten bestimmt ganz kuschelig finden. Auch ohne Fernsehen. Immerhin, Musik gab es. Irgendwo sang eine Frau laut und falsch vor sich hin. »Help me if you can, I’m feeling down … and I do appreciate you being ’round … help me get my feet back on the ground … won’t you pleeease pleeeease help me …«
Irgendwann hatte sie das schon mal gehört. Ihr MP3-Player hätte es innerhalb von Sekunden analysiert, ihr den Titel genannt und das Original vorgespielt, aber leider hatte sie das Ding nicht dabei. Neugierig schaute Carima nach, von wem der Lärm stammte, und stieß in einer Nische des Medical Center auf die stämmige Bordingenieurin mit dem blonden Zopf, wie hieß die noch mal? Paula. Sie trug Hosen mit einer Menge Taschen und ein ärmelloses Top, das an der Schulter den Blick auf ein Herz-Tattoo mit der Aufschrift John forever freigab. Hoch konzentriert schraubte sie an etwas herum, das wie ein Holzhäuschen von der Größe einer Telefonzelle aussah. Komplett mit Fenster.
»But every now and then I feel so insecure – I know that I just need you like I’ve never done before«, dröhnte es Carima in den Ohren und spontan klopfte sie an die Außenseite des Häuschens. »Das klingt, als würden Sie Hilfe brauchen«, frotzelte sie.
Ein sommersprossiges Gesicht mit zwei blauen Augen grinste zu Carima hoch. »Na klar, Hilfe kann man immer gebrauchen. Du kannst mir mal den Phasenprüfer reichen.«
»Den was?« Carima hob die Hände, verzog entschuldigend das Gesicht und deutete mit dem Kinn auf das Holzhäuschen. »Was ist das? Irgendein wertvolles Ausrüstungsstück?«
»Schön wär’s. Mit Schiffsausrüstung kenn ich mich aus, ich bin schon auf allem gefahren, von der Luxusjacht bis zum Containerfrachter.« Paula stemmte die Fäuste gegen die Hüften.
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