Ruf Der Tiefe
den anderen hart wie Kieselsteine. »Du bist einfach verschwunden und hattest nicht mal die Freundlichkeit, mir beim Lunch Hallo zu sagen. Eigentlich war das hier als gemeinsamer Ausflug gedacht!«
Niemand beachtete Leon, er stand dabei, hörte zu und wünschte sich an einen anderen Ort. Am besten nach draußen, wo er allein mit Lucy und seinen Gedanken war und alles einen Sinn ergab.
»Ach, du hattest doch schon Freunde gefunden, Ma, da wollte ich nicht stören.« Carima wandte sich wieder dem Bullauge zu, doch Lucy war – erschrocken von dem, was sie in Leons Gedanken spürte – gerade dabei, in ihre Höhle zurückzukehren. Draußen erstreckte sich nur noch der Boden der Tiefsee, der hier in der Gegend felsig und kahl war.
Die blonde Frau seufzte. »Interessiert es dich, Carima, was ich dir eigentlich sagen wollte?«
»Nein, nicht sonderlich.«
»Ich sage es dir trotzdem. Wenn du magst, können wir nachher mit Shahid und Jeremy reden. Professor Kovaleinen hat uns erlaubt, den COM-Raum zu benutzen.«
Carima zuckte die Schultern. »Mal sehen. Vielleicht komme ich rüber.«
Mit einer gemurmelten Entschuldigung machte sich Leon aus dem Staub.
Das Training am Nachmittag, das diesmal nicht draußen, sondern vor dem großen Sichtfenster stattfand, erschien Leon frustrierend und sinnlos, auch wenn er sein Bestes gab, es sich nicht anmerken zu lassen. Er, Julian, Tom und Billie besprachen mit Ellard, wie weit ihre Schützlinge waren und was für Probleme es gab, dann folgten ein paar praktische Übungen. In Dolslau-Gesten erteilten sie ihren Partnern durchs Fenster Anweisungen und ließen sie mehrmals wiederholen, was noch nicht so gut klappte. Lucy erledigte ihre Aufgaben in kürzester Zeit und verkroch sich dann schlecht gelaunt unter einem überhängenden Felsen. Sie spürte, dass Leons Kopf zum Bersten voll war, im Geiste war er immer noch dabei, Carima Antworten entgegenzuschleudern. Ich bleibe hier, weil ich verdammt noch mal dieses Leben gewählt habe, weil es das Faszinierendste ist, das ich mir vorstellen kann! Und diese Bemerkung über den Knast, die war dermaßen daneben, dass du …
»Aufgepasst, hier kommt Margaret!«, johlte Tom und riss Leon aus seinen Gedanken. »Hey Baby, zeig, was du kannst!«
Toms Partnerin war ein zwei Meter langer Tiefseekalmar mit einem torpedoförmigen Körper, der von großen Flossen an den Seiten des Körpers vorangetrieben wurde. An zweien ihrer zehn Arme saßen zitronengroße Leuchtorgane. Die Wildheit, mit der Margaret sich auf Köder stürzte, war beeindruckend, und insgeheim bewunderte Leon Tom für seinen Mut, überhaupt mit ihr zu arbeiten. Selbst wenn Margaret, die sehr schnell schwimmen konnte, sich wunderbar für Erkundungsaufgaben eignete – Leon legte keinen Wert darauf, ihr im Dunkeln zu begegnen.
Jetzt kam Lucy doch noch aus ihrer Nische hervor und strebte auf das große Sichtfenster zu. Viellange wir haben nicht Verstecken gespielt. Bitte jetzt, bitte ja? Manchmal marschierte sie auf ihren vielen Armen über den Boden wie ein Landlebewesen, doch diesmal sah es eher so aus, als fließe ihr skelettloser Körper wie eine Flüssigkeit, so geschmeidig kroch sie voran.
Schon gut, schon gut, machen wir. Leon zwang sich, die düsteren Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Gib mir nur ein paar Minuten, um mir einen Hardsuit zu organisieren. Du weißt ja, wir dürfen nicht mit den OxySkins raus.
Doch wie sich herausstellte, war Julian ihm zuvorgekommen und hatte zwei der Panzertauchanzüge reserviert. Für sich und Carima. »Irgendjemand muss ihr doch die Landschaft hier zeigen«, behauptete er und eine halbe Stunde später sah Leon die zwei in ihren knallgelben Metallpanzern draußen herumkapriolen und Julians Rochen aus der Greifhand mit Fischstücken füttern. Aufgeregt flatterte Carag, ein Tiefwasser-Stachelrochen, um die beiden herum wie ein zweieinhalb Meter großer fliegender Pfannkuchen. Mit zusammengekniffenen Lippen schaute Leon zu.
»Der ist ja völlig neben der Spur«, sagte Billie bitter. »Bildet der Idiot sich etwa ein, sie damit beeindrucken zu können? Diese verwöhnte reiche Tussi? Ich wette, die hat schon beim Tauchen auf den Malediven Rochen gefüttert, und das ist doch viel cooler, als sich in so eine Metallbüchse zu zwängen.«
Leon blickte Billie verdutzt an. »Ist sie denn reich?«
»Anscheinend hat ihr Dad eine Menge ARAC-Aktien und die sind nicht gerade ein Schnäppchen.« Billie lehnte sich gegen das Schott und kreuzte die Arme
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