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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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kniehohe Hecke ihres Vorgartens, als gäbe es ein Geheimnis auszutauschen. »Sie haben richtigen Sturm gemeldet.« Entrüstet hob sie die Hände. »Man glaubt es kaum: Sturm!«
    Wie zur Bestätigung legte sich ein Schatten über sie. Beatrice sah zum Himmel, wo die Wolken sich zu gigantischen Bergen türmten. Es wurde dunkler, fast hätte man meinen können, die Nacht bräche herein…
     
     
    Paul begab sich zurück ins Schlafzimmer und zog sich seine Shorts an. Während er im Schrank nach einem T-Shirt fahndete, rechnete er. Wenn Bea gemächlich schritt, legte sie einen Fußmarsch von vielleicht fünf Minuten bis zum Supermarkt zurück, die Ampel eingerechnet, die grundsätzlich immer dann auf Rot sprang, wenn man davorstand. Im Tescos, den zwei rührige Inder beinahe rund um die Uhr betrieben, würde an einem Montagmorgen nicht sonderlich viel Betrieb sein. Hier trafen Senioren und Hausfrauen aufeinander, durchsetzt von ein paar Arbeitslosen, die auf der Jagd nach Schnäppchen waren. Das Sortiment war riesig, die Regale immer gut gefüllt; frisches Obst und Gemüse gab es zu praktisch jeder Tages- und Nachtzeit – alles, was das Herz begehrte.
    Einen Einkaufswagen fürs Abendessen beladen, nebenher ein bisschen bei den Zeitungen, Büchern und DVDs stöbern, das alles nahm eine halbe Stunde in Anspruch, schätzte er, eventuell sogar eine Dreiviertelstunde, je nach Lust und Laune. Noch einmal fünf Minuten für den Rückweg, inklusive Wartepause vor der verflixten Ampel, machte summa summarum etwa sechzig Minuten.
    Paul gedachte, diese Stunde nicht nutzlos verstreichen zu lassen, sondern Beatrice eine Überraschung der praktischen Art zu bereiten. Das würde sie freuen und ihr ein wenig ihrer Angespanntheit nehmen. Er schmiss die Waschmaschine an, erledigte den Abwasch und ging sogar noch mit dem Staubsauger kurz durch das Wohn- und das Schlafzimmer. Er fühlte sich prächtig, voller Euphorie und ertappte sich dabei, wie er beim Saugen sogar summend einige Tanzschritte einlegte.
    Als er unter der Dusche stand, dachte er an ihre Hochzeit. Das wird eine Überraschung! Er hatte den Plan dazu ausgeheckt, kurz nachdem sie zu ihm gezogen war – und zu Weihnachten wollte er damit herausrücken. Er hatte sogar schon den Termin festgemacht – in vier Monaten, am vierten April 2004, ein unter Romantikern heiß begehrtes Datum: 04.04.04. Er war unter den Ersten gewesen, die sich auf dem Standesamt für diesen Tag hatten eintragen lassen. Mit diesem Datum, da war er sich sicher, würde er ihrer Hochzeit einen Hauch des Besonderen verleihen. Sie würde es ihm nicht abschlagen können, auch wenn sie keinen Hehl daraus machte, dass sich ihrer Meinung nach dadurch, dass zwei Menschen vor den Traualtar zogen, in ihrer Beziehung nichts änderte.
    »Warum heiraten zwei Menschen?«, hatte sie gefragt. »Was ändert sich dadurch an ihrer Beziehung zueinander?«
    »Alles«, war seine Antwort gewesen.
    »Gar nichts«, hatte sie zurückgegeben. »Allenfalls auf dem Papier.«
    »Aber das ist Quatsch.« Paul erinnerte sich, dass er ziemlich aufgebracht gewesen war. Er wollte sich diesem Irrglauben nicht hingeben. »Natürlich ändert sich durch die Hochzeit etwas, nämlich das Band, das man zueinander knüpft. Es wird noch enger werden. Und allein das ist es wert, den Menschen zu heiraten, den man von Herzen liebt.«
    Und noch etwas würde sich ändern. Als seine Frau würde sie endlich ihren Studentenjob aufgeben können. Sie musste gar nicht mehr arbeiten. Und falls sie es trotzdem wollte, konnte sie im Hotel seiner Eltern beginnen. Das Argument, ihr eigenes Geld verdienen zu wollen, würde er nicht mehr gelten lassen. Vor einigen Wochen hatten seine Eltern ihn beiseite genommen: »Paul, wir haben lange darüber nachgedacht.«
    »Worüber?«, hatte er gefragt, weil sie eine Pause machten und schwiegen. Ging es um ihn? Bea? Seinen Bruder Bart? »Herrgott, was ist los, spannt mich nicht auf die Folter!«
    Mum und Dad hatten sich ernst angeschaut, als wollten sie ein düsteres Familiengeheimnis aus dem Grabe zerren. Doch dann hatten sie gelächelt. »Wir haben uns überlegt, uns aus dem Hotel zurückzuziehen. Wir arbeiten seit vierzig Jahren im North Side. Es war unser Leben. Eine Aufgabe, die uns mit viel Freude erfüllt hat. Davor haben es deine Großeltern vierzig Jahre betrieben, die es mit ebenso viel Engagement zu dem machten, was das Hotel heute ist. Wir denken, es ist jetzt an der Zeit, dass wir es dir und deinem Bruder Bart

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