Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
Geräte, Unterlagen und Gegenstände, an denen die Zeit schon so lange nagte, mehr brauchen, niemand danach suchen. Und sollte doch der unwahrscheinliche Fall einmal eintreten, man würde Silvano bitten, danach zu suchen, denn der Keller war sein Reich. Die Arbeit hier bedeutete ein trübes Dasein für den, der sie verrichten musste, doch sie war unerlässlich. Niemand konnte so zufällig entdecken, dass eine der Türen keineswegs in einen weiteren Lagerraum führte.
    Silvano entriegelte das Schloss ebendieser Pforte. Schon der Treppenabsatz war alt und rau, die steinernen Stufen über die vielen Jahre brüchig geworden. Von grauen und gelben Flecken übersät, mit einem Netz haarfeiner Risse durchzogen, sahen die verputzten Wände aus, als seien sie viel älter als der Palast, der über ihnen aufragte. Doch der Eindruck trog, man hatte sich lediglich nur wenig Mühe bei der Ausgestaltung dieses Kellers gegeben, nur wenige Menschen würden sich schließlich je hierher verirren. Ausgewählte Menschen, die nicht kamen, weil sie die göttliche Pracht des Vatikans bestaunen wollten, sondern die gänzlich andere Gründe für ihre Besuche hatten. Diese Auserwählten waren es, die sich Freunde nannten. Ihre Organisation trug noch andere Namen, doch dieser war angenehm unverfänglich und täuschte über ihr wahres Ansinnen hinweg. Sie waren auch die Einzigen, die von der Existenz dieser Grotte tief unter dem Vatikan wussten.
    Alle anderen glaubten, die Krypta unter dem Petersdom, welche die Grabstätte und Gebeine des Apostels Petrus enthält, sei die einzige Grotte im Vatikan. Ein Irrtum, denn es gab noch diese zweite. Möglicherweise war sie einmal Teil der Kata Kymbas gewesen, der, in das Erdreich getriebenen, oft mehrere Stockwerke tiefen Grabnischen entlang der einstigen Via Appia, doch die Verbindung zu den antiken Stollen existierte längst nicht mehr. Jetzt war der Keller unter dem Keller eine in sich geschlossene Grotte, die nur vom Vatikan aus erreichbar war. Die wenigen Männer, die von ihr wussten, waren nahezu ausnahmslos alt und gebrechlich und über alle Nationen der Welt verteilt. Gewiss ein Vorteil, denn nur so war dieser Keller tatsächlich vor überraschenden Besuchern geschützt.
    Sie stiegen die Stufen hinab. De Gussa erinnerte sich daran, *sie einmal gezählt zu haben, aber er hatte das Ergebnis schon lange wieder vergessen. Aber wenn er sich nicht täuschte, lag die Höhle, die er jetzt gemeinsam mit Pater Silvano anstrebte, fast genau unter der Sixtinischen Kapelle.
    Die Stiegen mündeten in einen Absatz. Sie schritten hinab und durch einen Torbogen, schmucklos und ohne Tür. Ein Gang führte tiefer in die Erde hinein und traf schließlich auf einen von Glühbirnen schwach erhellten Raum. De Gussa roch die abgestandene Luft. Das war der Preis für die Abgeschiedenheit, die sie hier unten suchten, es war nicht zu ändern.
    Er beugte sich über den alten Mann, der auf einer Liege am anderen Ende des Raumes schlief. Doch de Gussa wusste, der Greis schlief nicht, er ruhte in einem Koma, das jetzt schon 19 Jahre währte.
    »Sind Sie sicher, dass er…«
    Silvanos Kopf flog rasant auf und ab. »Er hat sich bewegt, ich habe es genau gesehen.«
    »Können Sie mich verstehen?«, fragte de Gussa. Silvano reichte ihm eine Taschenlampe, die der Bischof über das Haupt des lang ausgestreckten Mannes hielt. Nur ein Augenlid zuckte, als das Licht auf sein Gesicht fiel.
    Nachdenklich sagte de Gussa: »Wie ich mir gedacht habe.« Er machte kehrt, und das Letzte, was Silvano von ihm hörte, war: »Ich werde unsere Freunde verständigen müssen.«
    Silvano bekreuzigte sich und folgte dem Bischof. Er wusste, er selbst würde nicht an diesem Treffen teilnehmen. Er war nur ein kleines Rad im Getriebe. Aber das reichte ihm. Es war mehr, als er je von seinem bescheidenen Leben erwartet hatte.

London
     
     
     
    Ein Räuspern kam von der Tür zum Zimmer 313 der Intensivstation des Hampstead Medical High. Dr. Martensen, der Stationsarzt, trat neben Paul. »Mister Griscom?«
    Paul nickte nur. Der Doktor legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Es tut mir Leid.« Als würde das etwas ändern.
    Eine ganze Armee von Instrumenten surrte in dem kleinen Zimmer vor sich hin, die Überwachungsmonitore zeigten Blutdruck, Temperatur und andere Werte, deren Bedeutung Paul verschlossen blieb. Aus einem der Apparate piepste es regelmäßig, und auf dem angeschlossenen Bildschirm wanderte ein gleichförmig grüner Zickzackstreifen

Weitere Kostenlose Bücher