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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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– Beas Herzstromkurve.
    Bea lag unter einem Laken, weich und weiß wie die Nelken, die er heute Morgen noch zwischen seinen Fingern gestreichelt hatte. Sie hielt die Augen geschlossen, als ginge sie der ganze High-Tech-Dreck, den man um sie aufgebaut hatte, nichts an. Es schien fast, als würde sie schlafen. Nur die Glatze, die man ihr geschoren hatte, war ein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte.
    Noch immer umschlossen Martensens Finger seine Schulter. Paul sah zu ihm auf.
    »Und?«, wollte er wissen.
    Geschlagene zwei Stunden hatten die Ärzte Bea Untersuchungen unterzogen. Sie hatten sie geröntgt, in einen Kernspintomografen gesteckt und sie anderen abenteuerlichen und monströs anmutenden Instrumenten ausgesetzt. Am Ende waren die Doktoren und Professoren, die zu Rate gezogen worden waren, aus dem Untersuchungszimmer getreten, hatten die Stirn in Falten gelegt und die Unterlippen vorgeschoben und waren dabei wohl der Ansicht gewesen, unglaublich weise auszuschauen. Sie waren an Paul vorbeigegangen, mitleidige Blicke unter ihren Brauen, doch keine Antwort auf seine Fragen. Irgendetwas hatte in ihrer Haltung gelegen, was ihn nicht beruhigte, sondern seine Sorge verstärkte.
    Martensen leckte sich angestrengt die Lippen, bevor er antwortete. »Nun, Mister Griscom, ihre Freundin liegt im Koma.«
    Irritiert hielt Paul seine Pupillen auf den Arzt gerichtet. Die Nachricht, dass Bea im Koma lag, war durchaus auch schon bis zu ihm vorgedrungen. »Aber warum?«
    Jetzt rieb sich Martensen seinen Bart. »Das wissen wir nicht.«
    Die Entrüstung wich Erstaunen. »Sie wissen nicht, warum?«
    »Es ist uns ein Rätsel.«
    »Ein Rätsel?« Paul wusste, dass er Martensens Antworten nur wiederholte, aber zu mehr war er nicht fähig.
    »Es ist ein Zufall.«
    »Ich verstehe Sie nicht.« Seine Stimme war leise, fast ein Flüstern.
    »Wie ich schon sagte: Das Koma ist ein Zufall.«
    »Ein Zufall?« Paul schnaufte. Er hörte das Piepen der Herzfrequenz, das Surren der Instrumente, alles roch nach Desinfektion und Krankheit, wie konnte Martensen angesichts dessen von Zufall reden? »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber nach einem Zufall sieht mir das nicht aus. Eher nach einer Krankheit.«
    Der Arzt verzog den Mund. »Nun, eine Krankheit ist es nicht.«
    »Aber wieso kann Sie dann ins Koma fallen?« Jetzt klang er verzweifelt.
    »Genau das wissen wir nicht.«
    »Ein Zufall?«, fragte Paul ungläubig. »Aber ein Zufall kann jeden treffen. Entweder er trifft mich oder eben nicht.«
    Der Arzt nickte. »So ist es. Es ist höchst ungewöhnlich, und wir geben zu, ein ähnlicher Fall ist uns bisher nicht bekannt. Die Untersuchungen haben ergeben: Die Konstitution Ihrer Freundin ist hervorragend, keine Krankheiten, keine Mängel, keine Beschwerden. Keine Anzeichen auf irgendetwas, was nur annähernd ein Grund sein könnte für das plötzliche Koma. Wir werden am Nachmittag weitere Untersuchungen durchführen müssen und auch noch Spezialisten hinzuziehen. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind wir ratlos.«
    »Und wie lange…« Paul wagte die Frage nicht auszusprechen.
    Martensen hob die Schultern. »Auch das können wir Ihnen nicht sagen. Wir wissen es nicht.«
    Als der Arzt das Zimmer verließ, lehnte Paul sich erschöpft auf dem Stuhl zurück. Tränen füllten seine Augen, er wehrte sich nicht dagegen. Er dachte an das Prinzip von Ursache und Wirkung, fragte sich: Wäre Beatrice an diesem Morgen nicht zum Supermarkt gelaufen und hätte sie stattdessen seinem Drängen nachgegeben, noch einmal mit ihm ins Bett zu gehen, wäre das dann nicht passiert?
    Keiner konnte sagen, wie lange es anhielt. Und ob es überhaupt jemals ein Ende haben würde. Eine große Unbekannte in der Gleichung, die Beas Leben beschrieb.
    Die Krankenschwester, die das Zimmer betrat, war wie jede andere, die er in den zurückliegenden zwei Stunden zu Gesicht bekommen hatte. Diese hier brachte vielleicht ein paar Pfunde mehr auf die Waage und ging ungleich beherzter zur Sache, aber sie trug wie ihre Vorgängerinnen ein kleines Häubchen, eine weiße Schürze, unter der ihr Beine mit schwarzen Strümpfen und Sandalen hervorwuchsen, und vollführte ihre medizinischen Handgriffe wie einstudiert und mit beachtlicher Schnelligkeit. Sie wechselte kein Wort mit Paul, egal, es gab ohnehin nichts, was ihn hätte trösten können.
    Die Pflegerin hievte ihr Tablett mit Ampullen und Spritzen an ihre schweren Brüste und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen. Erst jetzt

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