Ruf der Toten
Stück. Die Investition hat sich gelohnt, war ‘n Penny.« Etwas, das wohl wie ein verschlagenes Grinsen aussehen sollte, zog sich quer über sein Gesicht und gab den Blick frei auf ein schwarzes Loch, in dem zwei oder drei wackelige Zähne eine längst verlorene Stellung hielten.
Der Boden vibrierte, als ein weiterer Zug unter ihnen vorbeischoss. Das Dröhnen ging durch Mark und Bein, und sie hielt sich den Bauch.
»Hast Hunger, wa?«, fragte Elmi.
So beschissen sie sich vorkam, tatsächlich verspürte sie ein flaues Gefühl im Magen. »Ein wenig«, antwortete sie.
»Warte«, meinte er. Er legte die Taschenlampe auf den Rinnstein. Das Licht brach sich in der Gasse und warf gespenstische Schatten. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel, und sie beobachtete, wie er erneut in seiner Plastiktüte kramte. Diesmal brachte er einen braunen Pappbeutel zum Vorschein, der das geschwungene Emblem von McDonald’s zeigte. Stolz reichte er ihr die Packung.
»Was ist das?«, wollte sie wissen.
Ungeduldig wackelte er mit dem Beutel vor ihrer Nase. »Nun nimm schon, is was zu essen.«
Sie nahm die Verpackung und warf einen Blick hinein. Der Geruch von Burgern und Pommes Frites schlug ihr entgegen. Plötzlich verspürte sie Heißhunger, als habe sie tagelang nichts gegessen. Wer weiß, vielleicht war das sogar der Fall. Doch auch diesbezüglich war ihr Gedächtnis nicht bereit, ihr eine Auskunft zu geben. Achselzuckend versuchte sie sich damit abzufinden, dass daran vorerst wohl nichts zu ändern war. Zweifelnd sah sie Elonard an.
»Darf ich?«
»Würd ich’s dir sonst geben?«
Sie hob eine halb volle Schachtel mit Pommes heraus und stopfte sich die gelben Kartoffelstäbe einen nach dem anderen zwischen die Lippen. Sie waren nicht mehr warm, schmeckten aber trotzdem köstlich.
»Woher hast du sie?«, fragte sie zwischen zwei Bissen. Elonard erweckte nicht den Eindruck, als könne er sich jeden Tag ein Fastfood-Menü leisten.
Er hustete und spuckte. »Hab einen Freund bei Donald.«
»Donald?«
»Der mit den Burgern.«
»Ein Freund?«
»Ja«, strahlte er und schob die Brust raus. »Gibt mir immer die Reste, die Kunden übrig lassen.«
Sofort hörte sie auf zu kauen und spie angewidert die Fritten aus. Mit der Hand wischte sie sich die Lippen, doch das schmutzige Gefühl des Ekels blieb haften.
Elonard krächzte entsetzt: »Was machst du? Warum spuckst du das Essen aus? Bist wohl wahnsinnig!« Er entriss ihr Frittenschachtel und Burgertüte und stopfte sie zurück in seine Plastiktüte. »Wahnsinnig, vollkommen wahnsinnig!«, grummelte er. Als er sie wieder anschaute, trieben Tränen in seinen Augenwinkeln.
Wie er so dastand in seinen zerschlissenen Kleidern, mit dem wirren grauen Haar, gebeugt unter steifen Knochen, tat er ihr Leid. Für ihn waren die Fritten und Burger sein täglich Brot, wahrscheinlich sogar ein fürstliches Abendmahl – und sie hatte ihn, ohne es zu wollen, beleidigt, als sie es verschmähte.
»Tut mir Leid«, sagte sie. »Ich wusste nicht, dass…«
Er hob seine trockenen Hände. »Weiß ich.« Er stiefelte herüber und ließ sich neben ihr nieder. »Weiß ich doch. Gehörst nicht hierhin. Nicht so wie Elmi. Elmi ist ein armer Hund.«
Sie nahm seine Finger mit den brüchigen Nägeln und bettete sie zwischen ihre Hände. »Nein, das bist du nicht. Du bist mutig. Du hast mich vor diesen schrecklichen Männern beschützt. Dafür danke ich dir.«
Trotz der Dunkelheit konnte sie erkennen, wie seine Wangen vor Freude an Farbe gewannen. »Ist lange her, dass ich Gesellschaft hatte.« Dann verfinsterte sich seine Miene. »Du gehst wieder, oder?«
Am liebsten wäre sie einfach sitzen geblieben, hier auf dem Metallrost, wo die warme Luft aus dem Untergrund sie vor der Kälte dieser Welt schützte. Aber Elmi hatte natürlich Recht. Sie gehörte nicht auf die Straße. Wenn sie auch nicht wusste, wohin sie gehörte, so steckte doch der Wille in ihr, es herauszufinden. Und dafür musste sie gehen. Dorthin, wo sie Antworten auf ihre Fragen erhoffen konnte, wo auch immer das sein mochte. Mama. Wieder war da der Gedanke an ihre Mutter. Er rumorte in ihrem Kopf, ohne dass sie verstand, was er zu bedeuten hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sie nickte. Elmi nahm die Taschenlampe an sich und erhob sich ächzend. »Ich komme mit«, sagte er entschlossen. Er zog sich den Mantel aus. »Brauchst Hilfe. Alleine kommst du nicht zurecht.«
Sie stand auf. »Aber Elmi…«
Seine Hand fegte
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