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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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brauchte sich nicht einmal zu bewegen, es genügte schon, wenn er einfach nur dastand und die Sonne auf seine Glatze scheinen ließ – der Schweiß brach ihm unter seinem Talar in Strömen aus. Doch die Hitze war nicht einmal das Hauptproblem; schon als er den Flughafen verlassen hatte und in das Taxi gestiegen war, das ihn schaukelnd hundertzwanzig Kilometer ins brasilianische Landesinnere verschiffen sollte, war die Vermutung in ihm aufgestiegen, dass er langsam zu alt für solche Eskapaden wurde. Doch die Kongregation würde diese Ausrede nicht gelten lassen, noch weniger das Officium. Man war nie zu alt dafür. Das ist der Preis, den du zahlst, wenn sie dich in den inneren Kreis aufgenommen haben.
    Er hatte viele Orte bereist, aber dieser war mit Abstand der Gottverfluchteste von allen. Und das hieß etwas, wenn er, Cato, der Jesuitenpater, diese Worte in seinem Kopf erlaubte. Natürlich sprach er sie niemals laut aus. Aber das Denken hatte er sich noch nie verbieten lassen, von niemandem.
    Ist Ihnen heiß? Je mehr Cato darüber nachdachte, umso mehr fragte er sich, warum man Comistadore nicht schon längst aus dem Verkehr gezogen hatte. Nicht nur, dass dieses Frettchen ein Schandfleck für die Kirche war, er war unfähig noch dazu. Ohne ihn hätte Cato niemals diese beschwerliche Reise an das Ende der Welt unternehmen müssen, so viel war klar.
    Cato rief noch einmal die Informationen ab, die er während des Fluges aus den Akten erfahren hatte. Der Name des Priesters war Andrej Comistadore. Er war Spanier. Sein Vater hieß Pedro, seine Mutter Eleonore, geborene Mondola, die drei Kinder auf die Welt brachte, bevor Pedro mit einer 14 Jahre jüngeren Frau durchbrannte und Eleonore mit den drei Buben sitzen ließ. Einer der drei Söhne starb an einer Überdosis Heroin, der zweite lebte bis heute bei der Mutter. Nur Pedro war der Sprung aus der Gosse der Madrider Vorstadt Leganes gelungen. Er hatte die Schule absolviert, dann Theologie studiert und schließlich die Priesterweihe empfangen. So weit, so gut.
    Heute war Pedro 51 Jahre alt und seit 20 Jahren Vorsteher dieser kleinen südamerikanischen Kirchengemeinde, die irgendwo im vergessenen Hinterland lag. Cato wusste alles über ihn, zum Beispiel, dass Comistadore wahrscheinlich für den Rest seiner Tage an diesem Ort schwitzen würde. Denn Comistadore hatte sich in der Vergangenheit Verfehlungen geleistet, die den Oberen noch heute schwer im Magen lagen. Zwar war es über zwanzig Jahre her, dass der Skandal die spanische Öffentlichkeit erschüttert hatte, doch unglücklicherweise hatte Comistadore auch in den Jahren danach… seine schmutzigen Finger nicht bei sich behalten können. Seit seiner Versetzung nach Trujillo ging er zwar geschickter vor, geschickt genug jedenfalls, um seine Schäfchen zu täuschen, aber nicht so raffiniert, dass die einflussreichen Kreise im Vatikan nichts davon mitbekommen hätten.
    Ist Ihnen heiß?
    Catos Kiefer mahlten unablässig auf dem Kaugummi. Er unterließ es zu antworten und reichte dem Priester auch nicht seine Hand. Der bloße Anblick dieser Finger ekelte ihn an.
    Er lauschte den Glocken, die ihren Ruf über die Gemeinde aussandten. Dann sah er einige hundert Meter weiter, am anderen Ende von Trujillo, eine Prozession um einen Häuserblock biegen: im Gebet versunkene Menschen, ihre Gesichter von der grellen Sonne gegerbt, barfuß oder in staubigen Sandalen. Sie folgten einem jungen Mann, der schwer an einem Holzkreuz zu tragen hatte.
    Die 38 Grad im Schatten schienen den Leuten nichts auszumachen. Auf schmalen Bahren schleppten sie alte, zahnlose Menschen mit, deren Knochen sie nicht mehr trugen. In Rollstühlen schoben sie schwache, verwirrte Kranke. Unter der Anstrengung klebten ihnen die Kleider nass am Körper, an ihren Wangen lief der Schweiß in Strömen hinab. Doch sie ließen sich nicht aufhalten, strebten der Kirche entgegen, während sie eine unverständliche Litanei murmelten.
    Einige der Menschen hatten ihre Hände gefärbt, blutrot. Andere schwenkten kleine qualmende Tongefäße, so genannte Mabkharas, wie sie hier von Frauen in speziellen Manufakturen hergestellt wurden. Der süße Geruch von Weihrauch mischte sich mit dem Staub, den die schlurfenden Füße auf der trockenen Straße aufwirbelten. Cato bemerkte, dass er würziger roch als der Weihrauch, der landläufig in Gotteshäusern verwendet wurde, diese billige Mischung, künstlich aromatisiert.
    »Wir sollten uns sputen«, meinte Cato und nickte in

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