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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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so sagen.«
    »Aber dein Auftritt gestern…«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn Philip, bevor es peinlich wurde. »Es tut mir Leid, was ich gestern gesagt habe. Ich war wütend.«
    »Ist schon okay. Kann jedem mal passieren…« Dehnen streichelte über seine Halbglatze. »Deinen Auftritt gestern fand ich imponierend.«
    Philip runzelte die Stirn. »Imponierend?«
    »Ja«, sagte Rüdiger. »Das letzte halbe Jahr über warst du zwar in der Redaktion anwesend, meistens zumindest, aber eben nur körperlich. Ansonsten warst du verschlafen, desinteressiert, unmotiviert, eben kein guter Journalist. Als wärest du der Ansicht gewesen, alles erreicht zu haben, was du erreichen wolltest, und alle sollten das bitte schön anerkennen, während du deinen Erfolg auf Partys feierst. Für Journalisten wie mich, die ihren Job von der Pike auf gelernt haben und über zwanzig Jahre oder länger ihren Platz in der Redaktion erkämpft haben – und glaube mir, das ist in wirtschaftlich beschissenen Zeiten, wie wir sie gerade erleben, nicht einfach –, ist das ein absolut inakzeptables Verhalten. Es widert mich an. Denn im Journalismus stecken entweder dein ganzes Herz und deine ganze Leidenschaft, er wird zu deinem Leben und er frisst dich auf, oder du lässt es bleiben. Es gibt keinen Mittelweg.«
    Zum ersten Mal fiel Philip auf, wie wenig er eigentlich über Rüdiger wusste. Zum Beispiel, ob der Fotograf alleine lebte oder mit einer Frau, die ihm seine scheußlichen Klamotten auswählte.
    »Gestern aber habe ich etwas an dir wahrgenommen… Eine Anspannung, eine Leidenschaft, dieses unersetzliche Fieber, das du nur dann spürst, wenn du einer Story auf der Spur bist. Du hattest Blut geleckt. Du warst bereit, für deine Geschichte zu kämpfen. Da war ich mir sicher, jetzt hat es dich gepackt. Endlich. Und doch leider zu spät.«
    »Mhm«, machte Philip und dachte über Rüdigers Worte nach. Er hatte nicht Unrecht, ganz und gar nicht. Vielleicht war das sogar des Rätsels Lösung. Für eine Geschichte kämpfen, das hieß recherchieren, nachforschen, Fragen stellen. Er legte seine Kamera auf die Kartons und lief zur Tür. »Rüdiger, du hast vollkommen Recht«, rief er von da aus.
    Das Gesicht des kleinen Mannes war ein großes Fragezeichen. »Was hast du vor?«
    »Ich fahr runter ins Nachrichtenressort. Kann ich die Kisten noch kurz bei dir stehen lassen? Ich komme gleich wieder.«
    Der Fotograf schwenkte die Hand, was Philip als Einverständnis wertete. Keine fünf Minuten später stand er im Nachrichtenressort, dem Herzstück des Kurier. Hier trafen die aktuellen Meldungen der Parteien, Vereine, Verbände und sonstiger Einrichtungen ein, die glauben, der Öffentlichkeit Wissenswertes mitteilen zu müssen. Nicht selten gab eine knappe Pressemitteilung eine große Titelstory her, ohne dass ihr Absender das beabsichtigt hätte. Man brauchte nur den richtigen Riecher. Tagtäglich gingen im Nachrichtenressort auch die Meldungen der Polizeileitstellen ein: die wichtigsten Einsätze des Vortages, Diebstähle und Einbrüche, nächtliche Ruhestörungen, Schlägereien mit Verletzten, Unfälle und Unfalltote. Vieles davon fand sich in der Rubik ›Vermischtes‹ auf Seite 3 wieder, Erfahrungen, die keiner gerne machte, über die aber jeder gerne las. Auch aufgeklärte oder ungelöste Mordfälle fanden sich oft darunter, nicht selten wurde die Öffentlichkeit um Hinweise und Zeugenaussagen gebeten.
    Der Redakteur vom Dienst, Manfred Volvic, wurde nicht nur der Namensgleichheit mit dem Mineralwasser wegen immer wieder Ziel heiterer Attacken; obwohl ein stiernackiger Koloss, baggerte er sich ohne Unterlass stumm durch die Nachrichten, die sich auf seinem Schreibtisch auftürmten, und sprach nur, wenn es unbedingt erforderlich war.
    »Du bist wer?«, wollte er von Philip wissen.
    »Volontär in der Bildredaktion«, erwiderte Philip ohne schlechtes Gewissen.
    »Wer schickt dich?«
    »Niemand.«
    »Was willst du?«
    »Ich würde gerne wissen, ob Sie irgendwas über einem Mordfall auf dem Ku’damm haben.«
    »Habe ich nicht.«
    »Würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich selbst mal nachschaue?«
    »Ja.«
    Philip räusperte sich. »Es wäre aber wichtig.«
    »Schön für dich.«
    »Wirklich wichtig.«
    Volvics Kopf ruckte ungeduldig. »Die Meldungen sind alle schon im Archiv, abgeheftet und gebündelt. Tut mir Leid. Sonst noch was?« Nachdem er überraschenderweise so viele Worte auf einmal von sich gegeben hatte, rechnete Philip fast damit, dass der

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