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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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ich melde mich später… Sorry!« Er beendete das Telefonat. Ihm blieb nur noch ein Ausweg, und die Zeit wurde knapp. Er warf den Rucksack über die linke Schulter, hastete auf den Flur und rief den Fahrstuhl, was ihm hoffentlich einen Vorsprung verschaffen würde.
    »Jemand ruft den Fahrstuhl«, hörte er eine Stimme von unten.
    Eine andere befahl: »Nehmen Sie die Treppe!«
    Scheiße, sie waren bereits im Treppenhaus. Er musste sich beeilen, schnell sein, verdammt schnell. Er spurtete die Stufen hoch, die bis unters Dach reichten. Noch im Rennen wollte er den Schlüsselbund aus seiner Jackentasche ziehen, doch er bekam nur ein weiches Tempotuch zu fassen. Verdammt, hatte er etwa den Schlüssel vergessen?
    »Ausgeflogen! Er muss die Treppe nach oben genommen haben!«, rief jemand.
    Wieder die befehlsgewohnte Stimme: »Folgen Sie ihm, verdammt, schnappen Sie ihn!«
    Schritte polterten Philip entgegen. Seine Finger ertasteten etwas Festes; es klimperte zwischen seinen Fingern. Der Schlüssel, Gott sei Dank!
    Keuchend erreichte er den letzten Treppenabsatz und war oben, noch ehe er sich versah. Er rannte so schnell, dass er nicht mehr rechtzeitig stoppen konnte. Mit der Stirn knallte er gegen die Eisentür und ein wummerndes Dröhnen zog durchs Treppenhaus. Er kämpfte den Schmerz beiseite.
    Zwei Stockwerke unter ihm ertönten die Schritte der Polizisten. Er trieb sich zu noch größerer Eile an. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er den richtigen Schlüssel fand. Er erwartete jeden Augenblick eine Hand auf seiner Schulter. Sie sind verhaftet! Sein Bemühen, die Türe zu öffnen, wurde immer hektischer, verbissener, verzweifelter. Geh doch auf du verdammte Tür. Als er ein flehentliches Bitte hinzufügte, sprang die Tür mit einem leisen Klick auf, und der Dezemberwind begrüßte ihn mit einer eisigen Ohrfeige.
    Gerade als Philip sich umdrehte und die Eisentür ins Schloss zurückwarf, sah er eine grüne Mütze, dann den dazugehörigen Kopf die Treppe heraufstürmen. Mit einem tiefen Wummern fiel die Eisentür zu, und er drehte den Schlüssel. Gerettet!
    Eine schier endlose Wüste aus schmutzigen Schindeln bildete einen Ring um ihn, nur überragt von der architektonischen Fehlleistung Potsdamer Platz und dem langen Spargel Fernsehturm, dessen Spitze in den tief hängenden Wolken verschwand. Die ersten Boten der Nacht färbten den Himmel im Osten bereits schwarz.
    Der große Vorteil der Kreuzberger Altbauten war, sie schmiegten sich dicht an dicht und ihre Dächer schlossen nahtlos aneinander. Was einst zur Entlastung der Schornsteinfeger gedacht gewesen war, erwies sich jetzt als idealer Fluchtweg. Philip kletterte eine der Stiegen zum Dachfirst empor und folgte geduckt den Eisenbohlen, die mit Handlauf zu beiden Seiten von einem Haus zum nächsten führten und so ein spinnenartiges Netz über den ganzen Block bildeten.
    Philip schlug einen Metallpfad in Richtung Westen ein, weg von seiner Wohnung. Er blickte keuchend zurück und hinunter. Der Landwehrkanal beschrieb einen leichten Bogen und mit ihm der Häuserblock. Wenn noch ein Polizist am Straßenrand stand, wovon auszugehen war, dann war Philip vor dessen Blicken geschützt. Trotzdem behielt er die gebeugte Haltung bei, und der Wind fegte ihm bitterkalt ins Kreuz.
    Abrupt endete der Weg. Beinahe wäre er in die Tiefe gestürzt. Er sah bereits seinen Körper zermatscht auf dem Kopfsteinpflaster liegen – gestorben auf der Flucht. In letzter Sekunde gewann er das Gleichgewicht zurück.
    »Bleiben Sie stehen!«, rief jemand. Über die Schulter sah er, wie ein Polizist die Eisentür aufriss und zu ihm herüberstarrte. Der Beamte griff zum Holster und wollte die Waffe ziehen.
    Philip warf einen Blick nach unten. Eine Leiter führte hinab in eine Seitenstraße des Kottbusser Dammes.
    »Stehen bleiben!«, brüllte der Beamte, während seine Schritte über die Metallstiegen rasselten.
    Philip dachte an alles, nur nicht daran, der Anweisung Folge zu leisten. Ein Satz, und er stand auf der ersten Stiege. Er rutschte mehr die Sprossen hinab, als dass er sie kletterte, und er kam erst wieder zu Atem, als er die Stufen zur U-Bahn-Station hinabhetzte und sich in den Strömen der Berufspendler halbwegs in Sicherheit wähnte.
    Doch mit der Sicherheit kam auch die Verzweiflung. Und die Wut darüber, dass all das ausgerechnet ihm geschah. Warum nur? Warum, verdammt, lief sein ganzes Leben einfach nur beschissen?

Rom
     
     
     
    Es war eine illustre Runde, die zu später Stunde das

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