Ruf der Vergangenheit
unbedingt loyal war.
„Die Antwort ist“, sagte Judd, „solange Xavier an Gott glaubt, kann er auch glauben, dass Nina noch existiert, den Sprung irgendwie überlebt hat.“
„Das ist in sich unlogisch“, stellte das Gespenst fest, doch in seiner Stimme klang etwas mit, das Judd nicht ganz fassen konnte.
Xavier schüttelte den Kopf. „Es geht nicht um Logik, nicht um den Kopf, sondern um das Herz.“
Das Gespenst schwieg. Judd hatte nichts anderes erwartet. Dieses riskante Spiel überlebte man nur, wenn man eiskalt war.
„Also“, sagte Judd. „Wozu dient dieses Treffen?“
Das Gespenst reichte einen Datenkristall nach vorn. „In der Pfeilgarde gab es Veränderungen.“
Judd ließ den Kristall in seiner Tasche verschwinden. „Tote?“
„Sieben Gardisten befinden sich zurzeit in den dinarischen Alpen, einem einsamen Gebirgszug an der Adria. Möglicherweise bekommen sie kein Jax mehr.“
Judd nahm sich Zeit, um zu überlegen, was solch ein radikaler Schritt zu bedeuten hatte. „Entweder ist der Grund eine ungewöhnliche Reaktion auf die Drogen –“
„– oder die Gardisten sind zu dem Schluss gekommen, dass sie Ming nicht mehr folgen wollen“, ergänzte das Gespenst.
„Wäre das so leicht möglich?“, fragte Xavier. „Würden die M-Medialen nicht alle Reaktionen überwachen?“
„Der leitende Mediziner ist stets ein Gardist“, sagte Judd leise. „Wenn dieser nicht mehr loyal zu Ming steht …“
„Wenn Letzteres tatsächlich der Fall ist, was würden die Gardisten dann tun?“, fragte das Gespenst. „Wenn sie wirklich Ming die Führung abnehmen wollten.“
„Ich werde meine Kameraden nicht verraten.“ Jeder Pfeilgardist war durch seine tödlichen Fähigkeiten geprägt, die ein normales Leben ausschlossen. Die Tatsache, dass Judd nun auf der anderen Seite stand, hatte das Band nicht zerreißen können.
„Das Medialnet kann mit wild gewordenen Gardisten nicht umgehen“, sagte das Gespenst. „Sie könnten das ganze System destabilisieren.“
„Keinesfalls“, sagte Judd. „Die erste Aufgabe eines Pfeilgardisten ist, Silentium zu bewahren. Sie würden nichts tun, was die Stabilität des Medialnet schwächt.“
Das Gespenst sagte nichts mehr. Ihr Bund war auf Gleichheit gegründet, der mediale Rebell wusste, dass Judd sich nicht beugen würde, denn er würde es ebenso wenig tun, wenn es darum ging, das Medialnet zu schützen. Xavier ergriff das Wort. „Und wie ist es mit Ihnen, mein Freund, wem gilt Ihre Loyalität in erster Linie?“
Auf diese Frage hatte das Gespenst noch nie geantwortet. Es konnte nicht nur das Bedürfnis sein, das Medialnet in bessere Hände zu geben, dachte Judd. Etwas weit Persönlicheres musste dahinterstecken.
Das Gespenst stand auf. „Diese Frage werde ich beantworten, wenn ich die Aufgabe vollendet habe, die mir meine Loyalität abverlangt.“
Bis dahin, dachte Judd, würden sie ihren Kampf weiterführen, ohne zu wissen, ob logische Überlegung oder reine Rücksichtslosigkeit das Gespenst leiten würde, wenn es hart auf hart kam.
45
Dev ließ das Flugzeug auf einer privaten Landebahn in der Nähe seines Hauses in Vermont landen. Da es von dem einsamen Motel ziemlich weit zum nächsten Flughafen gewesen war, kamen sie erst am späten Nachmittag in Vermont an. Jack hatte früh am Morgen angerufen und ihr Treffen auf den nächsten Tag verschoben, so dass Dev nun ein paar Stunden Spielraum blieben, um über sein weiteres Vorgehen nachzudenken. Nicht nur das Gespräch mit seinem Cousin beschäftigte ihn, sondern auch die Überlegung, wie Ming davon abgehalten werden konnte, Katya weiter zu terrorisieren.
Er ballte die Fäuste so fest zusammen, dass die Knochen knirschten.
„Hör auf damit.“ Katya legte beschwichtigend ihre Hand auf seine. „Lass dich nicht von ihm zerstören.“ Ihre Stimme klang heiser, sie hatte ununterbrochen versucht, ihm sein Vorhaben auszureden.
„Soll ich lieber zusehen, wie er dich zerstört?“ Er verschränkte seine Finger mit ihren.
„Dev.“
Er erwiderte nichts, und sie schwieg ebenfalls. Der Rest der Fahrt verging in angespannter Stille, aber er gab sich nicht der Illusion hin, dass sie aufgegeben hätte.
„Hattest du nicht gesagt, du müsstest nach New York?“, fragte sie, als sie ins Haus gingen. Dann runzelte sie die Stirn. „Ist die Tür etwa nicht verschlossen gewesen?“
„Doch.“
Sie sagte sich, dass er wohl eine Art Fernbedienung im Wagen haben müsse. „Was ist nun mit New York?“
Er
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