Ruf der Vergangenheit
und war erneut im Spinnennetz gefangen.
„Was ist deine zweite Aufgabe?“
„Informationen über die Vergessenen zu sammeln und ihre Geheimnisse aufzuspüren.“
„Und was wirst du tun, wenn es dir nicht gelingt, im festgesetzten Zeitrahmen die entsprechenden Informationen zu erhalten?“
Angst stieg in ihr auf, aber nur dumpf, wie der zu oft gespürte Schmerz einer alten, nicht verheilten Verletzung. „Dann konzentriere ich mich auf mein Primärziel.“
„Was ist das für ein Ziel?“
„Die Ermordung Devraj Santos’, des Direktors der Shine- Stiftung.“
„Wie soll das geschehen?“
„Es soll deutlich sein, dass ein Anschlag auf ihn verübt wurde, und es darf kein Zweifel darüber bestehen, wer es getan hat.“
„Warum?“
Das brachte sie aus dem Konzept. „Sie haben mir nicht gesagt, warum.“
„Gut.“ Eiskalt. „Du sollst nicht verstehen, nur ausführen. Wiederhole, was du tun sollst.“
„Devraj Santos ermorden.“
„Und danach?“
„Mich selbst töten.“
Stille, Stoff raschelte, als er die Beine übereinanderschlug, sein Gesicht war völlig ausdruckslos, so wie in jenen Momenten, wenn er sie wieder einmal der Dunkelheit überließ, obwohl sie ihn auf Knien darum bat, es nicht zu tun.
„Bitte“, hatte sie gesagt und sich an seinen Beinen festgehalten. „Bitte nicht. Bitte!“
Er hatte sie fortgestoßen und die Tür verschlossen. Nun saß er vor ihr – ein Gott auf einem Thron, vor dem sie im Staub kniete – und sprach mit der kalten Stimme, die sich nie veränderte, auch wenn sie noch so laut schrie.
„Nur dieser Aufgabe wegen habe ich dich am Leben gelassen.“
„Warum ausgerechnet ich?“
„Du bist schon tot. Leicht zu entbehren.“
„Und falls ich versage?“ Sie war so schwach, dass ihre Knochen sich aufzulösen schienen. Wie sollte sie einen Mann töten, noch dazu einen, dem ein solch tödlicher Ruf vorausging?
Die Antwort kam nicht sofort, die Spinne, das einzige Lebewesen in ihrer nur aus Schmerzen bestehenden Welt, bewegte sich nicht. Er war wirklich ein Medialer. Seine Gesten und Bewegungen verfolgten immer ein Ziel. Einst war sie genauso gewesen. Bevor er in ihren Geist eingedrungen war und ihre Konditionierung gekappt, alles ausgelöscht hatte, was sie als ein eigenes Wesen ausmachte.
Bevor er sie ermordet hatte.
„Wenn du versagst“, sagte er schließlich, „wird Devraj Santos dich töten. So oder so wird das Ende für dich gleich aussehen.“
Katya schnappte nach Luft, die Kleider klebten an ihrem Leib. Sie war in kalten Schweiß gebadet und ihr Herz raste. Angst drückte ihre Brust zusammen. Überzeugt davon, dass etwas auf ihren Rippen saß und ihre Knochen zerbrach, stieß sie das Laken fort.
Nichts.
Nur der Wahnsinn.
Sie ballte die Hand zur Faust und biss hinein, rollte sich zusammen und versuchte die Traumfetzen zu fassen, aus denen sie erwacht war. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, die Stücke fügten sich einfach nicht zusammen; sie konnte nicht herausfinden, was sie für den Schattenmann tun sollte.
Nur eines wusste sie: Wenn die Zeit gekommen war … würde sie es tun. Denn der Schattenmann überließ nichts dem Zufall. Vor allem nicht, wenn es um seine Waffen ging.
Archiv Familie Petrokov
Brief vom 3. Dezember 1970
Mein lieber Matthew,
es ist so gekommen, wie ich vermutet hatte – der Versuch, unseren Kindern die Wut abzutrainieren, ist gescheitert. Aber etwas anderes ist noch viel beunruhigender. Heute ist mir ein vertraulicher Bericht in die Hände gefallen, der besagt, der Rat ziehe die Ausmerzung sämtlicher Gefühle in Betracht.
Meine Hand zittert, während ich das niederschreibe. Begreifen sie denn nicht, was sie da verlangen? Was sie damit zerstören?
Mamotschka
7
Nach drei Tagen bekam Dev die Antwort auf seine Frage.
„Unsere Vertrauensperson hat es überprüft“, teilte Dorian ihm über die Kommunikationskonsole mit. „Offiziell gilt Ashayas Mitarbeiterin als tot.“
„Ming muss sie also vorher da rausgeholt haben. Oder haben Sie andere Informationen?“
„Nein. Bei Ekaterina –“
„Katya“, sagte Dev automatisch.
„Stimmt, ja.“ Der Wächter nickte. „Also, bei Katya ist es ihm gelungen, sämtliche Spuren zu verwischen – offensichtlich gibt es nicht das kleinste Anzeichen dafür, dass sie die Explosion überlebt hat. Ashaya glaubt mittlerweile, der Gedächtnisverlust könnte der Nebeneffekt einer psychischen Blockierung sein, die Katyas Entdeckung im Medialnet verhindert.“
„Wir
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