Ruf der Vergangenheit
eine Wasserflasche und stellte eine zweite in den Getränkehalter zwischen ihnen. „Die ist auch für Sie.“
„Vielen Dank.“ Ein wenig Kälte drang durch die Isolierungsschicht des Bechers, sie genoss die Empfindung, es erinnerte sie daran, dass sie nicht länger im Dunkeln gefangen war.
„Ich habe jemanden angerufen“, sagte Dev zu ihrer Überraschung. „Der Panther – erinnern Sie sich? Es stimmt. Der Panther ist eine reale Erinnerung.“
„Oh.“ Hoffnung keimte in ihr auf. „Sind Sie sicher?“
Er nickte kurz, und eine Haarsträhne fiel ihm in die Stirn. Er schob sie zurück und blickte auf den Becher in ihrer Hand. „Trinken Sie.“
Wahrscheinlich hatte sie noch nie zuvor so etwas getrunken. Sie sog vorsichtig an dem Strohhalm. Nichts kam heraus. „Der Strohhalm ist kaputt.“
Dev lächelte. Sein Gesicht veränderte sich, er sah bemerkenswert gut aus. Aber etwas anderes war viel sonderbarer: Sein Lächeln ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hob die Hand ein wenig, wollte über seine Lippen streichen, das Grübchen auf der Wange berühren. Würde er es zulassen, dieser Mann, der sich geschmeidig wie ein Soldat bewegte … oder wie ein Raubtier.
„Sagte ich Milchshake?“, fragte er und konnte ein Lachen kaum zurückhalten. „Ich meinte natürlich einen Eiscreme-Smoothie – nicht flüssig, sondern fest wegen der vielen frischen Früchte.“ Er warf ihr einen Blick zu, und als sie nicht reagierte, hob er die Augenbrauen.
Ihr Gesicht wurde ganz heiß, eine eigenartige Empfindung, die sie von seinem Anblick ablenkte. Sie sah auf den Becher, nahm den Deckel ab und entdeckte etwas Rosa-Weißes, das köstlich duftete. Fasziniert stocherte sie mit dem Strohhalm darin herum. „Da sind Erdbeerstückchen, und was ist das hier?“ Sie sah sich die schwarzen Samen mit den rosafarbenen Rändern genauer an. „Passionsfrucht?“
„Probieren Sie es.“ Er drückte ihr seine Wasserflasche in die Hand, ließ den Motor an und fuhr los.
„Und woher soll ich es dann wissen?“ Sie stellte seine Flasche ebenfalls in den Getränkehalter. „Außerdem brauche ich einen Löffel.“
Er holte einen eingepackten Plastiklöffel aus der Tasche. „Bitte schön!“
„Das haben Sie mit Absicht getan“, sagte sie. „Wollten Sie zusehen, wie ich mich abmühe?“
Sein Lächeln war diesmal kaum mehr als eine leise Andeutung. „Würde ich denn so etwas tun?“
Überrascht stellte sie fest, dass er sie neckte. Aber Devraj Santos hatte doch keinen Sinn für Humor. Das wusste sie genau. Doch es stimmte nicht.
Der Schattenmann wusste eben nicht alles, er war nicht allmächtig.
Ihr wurde leichter, als prickele etwas in ihren Adern. „Ich traue Ihnen alles zu.“ Sie tauchte den Löffel ein und führte die dekadente Mischung an die Lippen.
Oh!
Die prickelnde Kälte von Eis, köstlich süß und cremig, der Geschmack der Früchte explodierte förmlich auf ihrer Zunge. Sie musste noch einen zweiten Löffel nehmen. Und noch einen dritten.
Dev hielt zwar die Augen auf die Straße gerichtet, aber er nahm sehr genau wahr, mit welcher Begeisterung sich Katya dem Smoothie widmete. Sie schien ihn völlig vergessen zu haben. Der Beschützer in ihm beruhigte sich – er hatte etwas gefunden, das sie gern aß. Sie würde endlich zunehmen, und wenn er ihr einen ganzen Monat lang das Zeug einflößen musste.
Doch sie gehörte zu den Feinden. Sie nicht zu Kräften kommen zu lassen, müsste eigentlich sein Anliegen sein.
Seine Hände schlossen sich fest um das Lenkrad. Diese rücksichtslose Stimme gehörte genauso zu ihm wie der Beschützerinstinkt, da konnte er sich nichts vormachen – aber sie wurde in letzter Zeit immer dominanter. Andererseits verfügte die Familie Santos glücklicherweise auch über eine Empathin, die emotionale Verletzungen heilen konnte. Vielleicht konnten ihn diese Blutsbande davor retten, sich vollends zu einem rücksichtslosen harten Kerl zu entwickeln, wie seine Urgroßmutter bei seinem letzten Besuch behauptet hatte.
„Dein Herz ist aus Stahl, mein Junge“, hatte Maya gesagt. „Wenn ich dich berühre, schmecke ich Metall.“
„Das ist ein Teil von mir.“
„Du glaubst, dass es dich stark macht.“
Er hatte nicht widersprochen.
„Das haben meine Eltern nicht gewollt, als sie das Medialnet verließen“, hatte sie gesagt, einen grimmigen Ausdruck auf ihren zarten Zügen. „Sie haben dafür gekämpft, dass wir – auch du – fühlen und leben können, wie wir wollen. Und jetzt wirst du
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