Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
selbst wenn, habe ich dir bereits gesagt, dass du sicher bist, weil du mir gehörst.“
„Ich gehöre dir aber nicht!“, schrie ich ihn an und stürmte aus dem Café. Er folgte mir nicht. Meine Wut darüber, dass er mich als seinen Besitz ansah – wie ein Möbelstück oder ein hübsches Souvenir – war grenzenlos. Er hatte das schon einmal gesagt, nach meiner Mission in Schottland. Damals wie heute löste es den gleichen Widerwillen in mir aus. Obwohl ich wusste, dass er nur die Wahrheit aussprach.
Draußen riss mich sofort ein Strom von bunten Gestalten mit. Ich setzte meine Maske auf, damit fühlte ich mich sicherer. Wohin jetzt? In ein Hotel? Ich hatte nicht einen Cent dabei. Zu Freunden? Ich kannte niemanden hier. Ob es in Venedig ein Mutterhaus gab? Denkbar. Aber was hätte ich denen sagen sollen? Und warum sollten die mich überhaupt reinlassen?
In meinem Kopf jagten sich die Gedanken. Ich sah weder wohin ich ging, noch wer die Menschen waren, denen ich mich anschloss. Als ich meine Umgebung schließlich wieder klar erfasste, stand ich am Canale Grande. Von Armand weit und breit keine Spur. Er wusste, dass ich ihm nicht davonlaufen konnte. Wenn meine Wut angesichts der Ausweglosigkeit meiner Lage verraucht wäre, würde er mich mit Leichtigkeit finden, mein Widerstand würde zu Staub zerfallen. Seufzend ließ ich mich am Ufer des Kanals nieder. Mutterseelenallein, von den kostümierten Narren und den Gondolieri abgesehen. Einer von ihnen sprach mich an.
„Möchten Sie eine Fahrt, Senorina?“
Ich begriff zunächst nicht, dass er mich meinte. Erst, als er näher zu mir kam und sanft meinen Ellenbogen ergriff. Erschrocken sprang ich auf die Füße. Er war nicht minder erschrocken über meine Reaktion und wäre beinahe aus seiner Gondel gefallen, als er vor mir zurückzuckte.
„Verzeihung, Senorina! Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
„Nein, nein, schon gut. Ich bitte um Verzeihung. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mich jemand angesprochen hat.“
Jetzt lächelte er wieder. „Eine Fahrt?“
Bedauernd lächelnd schüttelte ich den Kopf. Er machte ein enttäuschtes Gesicht.
„Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Aber ich habe kein Geld.“
Augenblicklich erhellten sich seine Züge. „Oh, für Sie gratis, Senorina!“
„Das kann ich aber nicht annehmen.“
„Doch, doch. Sie leisten Ignazio Gesellschaft. Ignazio fährt Sie zu den schönsten Orten Venedigs.“
Was für eine Art von Gesellschaft meinte er? Argwöhnisch blieb ich noch eine Weile am Ufer stehen. Aber er machte mir nicht den Eindruck, als wolle er ein Schäferstündchen mit mir verbringen. Außerdem war mir kalt, und ich war allein. Also warum nicht?
Er half mir beim Einsteigen. Ich setzte mich an das gegenüberliegende Ende der Gondel. So hatte ich auch einen sicheren Abstand. Dankbar legte ich mir die Decke über, die er mir reichte. Es mag ein Gerücht sein, dass alle Gondolieri singen können, aber Ignazio konnte es. Er hatte eine wundervolle Stimme. Während der Fahrt sang er herzzerreißend schöne Liebeslieder und Sonaten. Es war herrlich, ihm zuzuhören. Ich schloss die Augen, genoss das sanfte Auf und Ab der Gondel und verdrängte alle Gedanken an Armand für eine Weile. Er würde mich schon finden, da hatte ich keine Bedenken. Noch vor dem Morgengrauen. Ich würde dankbar in seine Arme sinken, weil ich endlich nicht mehr allein war und würde bereitwillig mit in die Gruft auf der Ile de San Michele kommen. Auch wenn uns dort noch so viele andere seiner Art erwarteten. Verdammter Teufelskerl! Er hatte mich einfach in der Hand. Und ich hatte noch nicht einmal was dagegen.
Ein plötzlich eintretender Kältehauch ließ mich die Augen wieder öffnen. Ignazio hatte es ebenfalls bemerkt, denn er hörte auf zu singen und blickte beunruhigt zu der Brücke hinauf, auf die wir zufuhren. Ich folgte seinem Blick und wollte im ersten Moment schon erleichtert aufatmen, weil ich Armand dort zu sehen glaubte. Doch der Mann, der dort stand, war nicht Armand. Er hatte ähnliche Kleidung und trug ebenfalls eine Pfauenmaske. Aber er war deutlich größer. Sein langes schwarzes Haar fiel offen um seine Schultern. Ein schmaler Bart zierte Kinn und Oberlippe. In seiner Hand hielt er einen schwarzen Gehstock, dessen Knauf silbern blitzte. Er war ein Vampir, das bezweifelte ich keine Sekunde. Ich hielt den Atem an. Wenn Armand sich nun irrte und es den da drüben keinen Deut scherte, dass ich zu ihm gehörte? Automatisch ergriff ich das Ankh,
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