Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
entschuldigen, wieder bei ihm sein. Was er getan hatte, hatte er nicht zu meinem Schaden getan. Er liebte mich und ich ihn ebenso. Alles andere zählte nicht mehr. Schwungvoll wollte ich aufstehen und mich sofort auf den Weg machen, doch mit einem jähen Schrei brach ich zusammen und fiel auf die Knie. Die Schmerzen, die meinen gesamten Körper erfassten, raubten mir fast den Atem. Wie lange hatte ich geschlafen?Stunden, Tage? Zu lange auf jeden Fall. Und zu lange hatte ich nicht mehr getrunken. Das akzeptierte mein Körper nicht. Auch deshalb musste ich zu Armand. Und zwar so schnell wie möglich.
„Osira! Hilf mir!“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„O Melissa, du siehst schrecklich aus!“, hörte ich die Stimme meiner Freundin hinter mir.
„Danke“, knirschte ich. „Das baut mich richtig auf.“
„Du musst deine Seele über deinen Körper stellen. Schmerzen kann man verdrängen. Dein Geist ist stärker als dein Fleisch.“
Ich atmete tief durch und versuchte, mich zu sammeln. Leise murmelte ich die Formeln vor mich hin, die den Geist stärkten und ihm Macht über den Körper verliehen. Macht über die Bewegung und Macht über die Sinne. Ich unterdrückte jede Wahrnehmung von Schmerz oder Unwohlsein und befahl meinem Körper, sich aufzurichten und sich zu bewegen.
Langsam kam ich in eine hockende Position und schließlich gelang es mir, mich aufrecht hinzustellen. Einen Moment lang hielt ich mich noch am Bettpfosten fest, dann schwankte ich in Richtung Kleiderschrank, zog mich mit mühsamen, gequälten Bewegungen an und machte mich auf den Weg.
Die kühle Luft draußen tat mir gut. Nach ein paar Schritten im Garten fiel es mir leichter, die Kontrolle über meine physischen Reaktionen zu behalten. Ich suchte das Heiligtum auf und bat um Vergebung und um ihren Segen.
„Du musst darum nicht bitten. Sie weiß, was geschehen wird, und sie hat es schon lange gut geheißen“, sagte Osira, als ich demütig vor der Göttin niedersank.
„Weißt du denn auch, was geschieht, Osira?“
„Was immer dein Schicksal ist.“
Mehr gab meine Wölfin nicht preis. Ich küsste die Statue. Es schmeckte nach Abschied. Würde ich wirklich nicht zurückkommen? Mit einem Mal zögerte ich, ob ich wirklich gehen sollte. Der Gedanke kam mir so endgültig vor, dass er mir Angst machte. Aber dann schüttelte ich diese Unruhe ab. Ich würde doch nur zu Armand gehen. In ein paar Stunden wäre ich wieder hier. Und dann wären die Schmerzen vorbei, und ich könnte noch einmal mit Franklin reden.
Ich hielt ein Taxi an, als ich mich ein Stück vom Mutterhaus entfernt hatte, und ließ mich bis kurz vor Armands Wohnung bringen. Nachdem ich gezahlt hatte, wartete ich, bis es außer Sicht war. Erst dann ging ich zum Haus. Die Tür stand einen Spalt weit offen.
Ungewöhnlich für Armand.
Mir gefror das Blut in den Adern, als ich eintrat und die Tür hinter mir schloss. Ich war zu spät gekommen. Die Räume waren leer. Kahl und abweisend. Als hätte hier nie irgendjemand gewohnt. In Panik rannte ich hinunter in den Keller, fand den geheimen Mechanismus und öffnete die Tür zu seiner Gruft. Aber der verborgenen Raum war leer.
Ich sank an der Wand hinab und starrte fassungslos die Leere an. Selbst weinen konnte ich nicht. Alles in mir war zu Eis erstarrt. Über mich senkte sich der Mantel der Unwirklichkeit. Er konnte doch nicht fort sein! Er konnte mich doch nicht einfach verlassen haben! Aber genau das hatte ich von ihm verlangt.
Niedergeschlagen wanderte ich durch Londons Straßen. Wohin konnte ich jetzt noch gehen? Über mir hörte ich die Motoren einer Maschine. Ich blickte nach oben und sah ein Flugzeug, das vermutlich eben erst gestartet war. Gleichgültig und träge blickte ich ihm eine Weile nach und beneidete die Menschen, die jetzt darin saßen und irgendwohin ‚flohen’. Aber dann erwachte ich aus meiner Starre. Ich wusste, wohin. Kannte die Lösung für all meine Probleme. In Miami.
Der Pakt mit dem Teufel
Nun gut, jetzt war ich hier. Stand auf dem Pier am Hafen und blickte aufs Meer hinaus. Irgendwo weit dort draußen lag Luciens Insel. Wie kam ich dorthin? Ein Geräusch, wie von riesigen Flügeln, ließ mich erschrocken herumfahren. Lucien stand direkt hinter mir und sah mich mit ruhigem, aber dennoch kaltem Blick an.
„Ich konnte deine Gedanken bereits hören, als du noch im Flugzeug warst“, erklärte er leise.
Dann streckte er wortlos den Arm aus. Ich trat dicht an ihn heran, so
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