Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Wirklichkeit war. Als er sich schließlich von mir löste, wäre ich um ein Haar gestürzt, hätte er mich nicht festgehalten.
„Wie ich sehe, gefällt es Ihnen, von mir geküsst zu werden.“
„Und wie ich sehe, hat es mich noch nicht das Leben gekostet.“
„Bedauerlicherweise kann ich nicht länger bleiben, falls wir diesen Zustand weiterhin aufrechterhalten möchten. Auch meine Selbstbeherrschung hat Grenzen.“ Er drückte mir einen weiteren, diesmal sanften, Kuss auf die Lippen und ein Blatt Papier in die Hand. „Weil Sie doch wissen wollten, ob ich selbst auch dichte“, flüsterte er. „Und vielleicht finden Sie sogar ein wenig Trost in den Worten. Weil Sie nicht allein sind, in Ihrem Leid.“
Mit diesen Worten war er fort. Verflixt, ich würde mich nie an diese schnellen, unsichtbaren Bewegungen gewöhnen. ‚Weil wir mehr füreinander empfinden als Freundschaft’, hatte er gesagt. Ich musste wahnsinnig sein, mich darüber zu freuen. Aber er war mir im Moment vertrauter als jeder andere Mensch auf diesem Planeten. Außerdem verdankte ich ihm zweifellos mein Leben.
Behutsam faltete ich das Papier auseinander und las die Worte, die er wohl vor sehr langer Zeit niedergeschrieben hatte. Das Papier war schon alt, verschlissen an den Ecken. Und die Tinte hier und da verlaufen.
Der Kummer des Vampirs
Armand de Toulourbet für Madeleine,
In ewiger Liebe
Mir war, als sei das Sternenlicht,
So klar am nächtlich Firmament
Das mit des Mondes Glanz sich mischt
Dein Antlitz, wie’s nur einer kennt.
Mir war, als sei der Bäume Rauschen,
Ihr Zittern in der Winterluft,
Ein Klang, dem ich so gern wollt’ lauschen,
Dein stummer Schrei, der nach mir ruft.
Vergangen sind und längst vergessen,
Die Tage, die du schenktest mir
Und jede Nacht, die wir besessen,
Zerronnen – wie das Leben dir.
So bleich und doch so voller Schönheit
Du dort in sanften Armen ruhst
Bist mir verlor’n für alle Zeit
Und hast doch nie von mir gewusst
Verloren, einsam, fern der Wonne
Die wir zu teilen so geliebt
Der Mond ist nun mein’ einzig’ Sonne
Der Tod das einz’ge, was mir blieb.
Eine Gänsehaut lief über meinen Rücken. Ich konnte den Schmerz in diesen Zeilen lesen. Er hatte sie geliebt. Und er hatte sie verloren. Weil sie sterblich geblieben war und er nicht? Oder weil er ihr Leben genommen hatte? Nein, das sicher nicht. Denn er hatte sich ihr nicht offenbart, wenn ich die Worte richtig deutete. Behutsam faltete ich den Bogen wieder zusammen und legte ihn in die Schublade meines Nachttischchens.
Der zweite Morgen nach Melissas Flucht dämmerte herauf. Die ganze Neumondnacht hindurch hatte Margret Wache gehalten an den verkohlten Überresten des Scheiterhaufens, der für das Mädchen gedacht gewesen war. Sie war verschwunden. Aber nicht allein. Jemand – oder sollte sie besser sagen
etwas
– hatte ihr geholfen. Die ganze Familie schien mit diesen Bluttrinkern verbunden zu sein. Wen wunderte das, wenn man bedachte, wo sie herkamen? Die Kreaturen der Nacht gingen allesamt ein und aus in den Mutterhäusern der Ashera. Als wäre das ganz normal. Sie schnaubte missbilligend.
Peggy Flynn kam den Weg entlang. Schon von Weitem schüttelte sie den Kopf. Keine Spur von Melissa. Das hatte Margret auch nicht erwartet. Sie wusste trotzdem, wo diese Göre sich jetzt befand. Unerreichbar für sie. Oder doch nicht ganz. Das Buch war fort. Ihr
Buch der Schatten
. Er musste es für sie gestohlen haben.
Gut. Ob er es wusste oder nicht, er hatte ihr damit einen Gefallen getan. Wenn Melissa das Buch haben wollte, dann bedeutete das vielleicht, dass sie nach der Macht gierte, die es enthielt. Dass Margrets Samen in der Seele des Kindes aufgegangen war. Sie würde in dem Buch lesen. Und wenn sie das tat, würde es sie zurückbringen. Sehr bald schon. Dann gehörte sie ihr – sicherer als je zuvor. Und ein Scheiterhaufen war nicht länger vonnöten. Vielleicht hatte sie bis dahin sogar schon Fuß in der Gemeinschaft der Ashera gefasst. Dann hatte möglicherweise Margret dieses Mal einen Spion, den sie bei ihren Feinden einschleusen konnte. Wenn man es nur geschickt genug anstellte. Ein hartes Lächeln trat auf ihre Züge, während sie das Blut im Gras mit dem Fuß verwischte. Die anderen Priesterinnen hatten es nicht gesehen. Die Botschaft war für sie allein gewesen.
„Nein, mein schöner Todesengel“, flüsterte sie. „Noch brennt die Hexe nicht.“
Gorlem Manor
„Greif nur ordentlich zu. Wir werden hier de facto bestens
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