Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Bibliotheken und Labore stehen dir jederzeit zur Verfügung. Spreng uns nur bitte nicht in die Luft, wenn du experimentierst.“
Sein Humor war unverbesserlich. Einen Teil der Labore betrat ich mit ausgesprochenem Widerwillen. Die Pathologie. Hier wurden Leichen seziert, die durch unerklärliche Phänomene ums Leben gekommen waren. Ich sah an diesem ersten Morgen bereits einige seltsame Körper, die nicht menschlich waren.
„Wir untersuchen auch die Überreste von nichtmenschlichen Wesen, die nicht klar definiert werden konnten. Meist stellt sich heraus, dass es nur Mutationen oder unbekannte Tierarten sind. Aber manchmal sind es auch Überreste von Wesen, die parallel zu uns existieren und in den Bereich des Paranormalen fallen.“
Mir wurde übel – von dem Geruch und dem Anblick.
Die Bibliotheken gefielen mir schon deutlich besser. Es gab insgesamt neun. Wovon eine Franklins Privatbibliothek war, zu der man nur Zugang erhielt, wenn er es erlaubte. Die kleine Bibliothek, die nur selten benutzt wurde, aber sehr viele alte Schriften enthielt. Die große Bibliothek – eigentlich die Hauptbibliothek von Gorlem Manor und die einzige, in der auch jede Menge Computer standen, auf denen alle Daten archiviert wurden und auch wieder vom Zentralrechner abrufbar waren. Die alte Bibliothek, die erste des Mutterhauses, die heute nur noch internes Material der Ashera enthielt, wie Stammbäume, Chroniken, Fotomaterial, Akten und dergleichen. Und schließlich die fünf Farb-Bibliotheken, in denen man sich meist zu Arbeitskreisen, zu Studienzwecken oder für gemeinsame Gesprächsrunden traf. Sie waren den Elementen zugeordnet und in der jeweiligen Farbe eingerichtet, nach der sie benannt waren – die blaue Bibliothek für das Wasser, die rote für das Feuer, die grüne für die Erde, die graue für die Luft und schließlich die weiße für den Äther.
Nachdem ich alle Bibliotheken gesehen und in der großen Bibliothek schon mal einen Blick in die Daten des Zentralrechners hatte werfen dürfen, führte Franklin mich zu den Vorrats- und Arbeitsräumen. Spülen, Kochen und Wäschewaschen gehörte in der Anfangszeit zu meinen Aufgaben. Was mir deutlich angenehmer war als die Pathologie. Die Oberaufsicht über die häuslichen Aufgaben hatte Virginia Clemens, eine zweiundsechzigjährige dralle Person, der die gute Laune von Mutter Natur ins Gesicht gemalt worden war. Ihre orangeroten Haare kräuselten sich widerspenstig um ihren Kopf. Sie war Irin und eine Seele von Mensch.
„Brauchst nur zu fragen, wenn du nich weiter weißt. Steht keiner allein mit seinen Problemen da“, versicherte sie mir.
Virginia leistete der Ashera nicht nur mit ihren Kochkünsten gute Dienste. Sie konnte auch Dinge zum Verschwinden bringen und anderenorts wieder materialisieren. Sehr nützlich, um Beweismaterial verschwinden zu lassen. Es ersparte der Ashera so manchen Gerichtsprozess. Ich war von diesem ersten Einblick in die dunkleren Geheimnisse des Ordens ebenso fasziniert wie schockiert. Offenbar waren Anklagen gegen den Orden nicht selten. Doch sie wurden so gut wie immer abgewiesen. Aufgrund fehlender Beweise, oder dank der hervorragenden Arbeit der Ashera eigenen Anwälte.
Nach den häuslichen Pflichten zeigte Franklin mir auch die landwirtschaftlichen. Ich sollte gelegentlich bei der Fütterung und beim Misten helfen. Alle übrigen Aufgaben in diesem Bereich wurden von den Männern übernommen. Jetzt blieb nur noch ein letzter Ort übrig. Das Herzstück von Gorlem Manor. Das Heiligtum.
Wir gingen zum Haus zurück und dann ein Stück durch den Park bis zu einer Gruppe hundertjähriger Eichen. Inmitten dieser Eichen lag eine kleine Kapelle, die man von außen nicht sah. In ihrem Inneren verbarg sie ein kostbares Geheimnis. Inmitten eines Pentagramms, auf einen marmornen Sockel platziert, stand die lebensgroße Skulptur der Göttin Ashera. Anmutig, nackt, mit wallendem Haar und nach oben geöffneten Handflächen. Frisches Räucherwerk brannte in den Nischen und duftende Blütenblätter bedeckten den Boden. Der Blick der goldenen Göttin zeigte nach Südosten.
„Morgens zeigt sie nach Osten, mittags nach Süden, nachmittags nach Westen und nachts selbstverständlich nach Norden. Sie dreht sich mit der Sonne“, erklärte Franklin.
„Sie ist wunderschön“, hauchte ich, schier sprachlos über solch eine Pracht.
„Ja, sie ist ein Meisterwerk“, pflichtete er mir bei und strich beinah zärtlich über ihre schlanken Arme. „Ashera, unser
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