Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
versorgt“, erklärte mir ein etwa dreißigjähriger Blondschopf am nächsten Morgen beim Frühstück. Er hieß Ben. Und was er sagte, stimmte. Es gab alles, was das Herz begehrte. Ich hatte nie zuvor so ein Frühstücksbuffet gesehen.
„John hat uns schon gesagt, dass wir eine neue Schwester in unserer Mitte begrüßen dürfen“, fuhr Ben gutgelaunt fort. „Du bist eine Freundin von Armand.“
„Sieht ja fast so aus, als wüsste man hier schon alles über mich.“
Das brachte ihn zum Lachen. „Na ja, beinahe. Aber ein bisschen was darfst du auch noch selbst erzählen. Zum Beispiel, wie du heißt.“
„Melissa Ravenwood.“
Sofort herrschte Totenstille am Tisch. Alle sahen mich an, als hätten sie einen Geist gesehen. Wieder war es Ben, der sich zuerst fing.
„Du musst verzeihen. Es ist nur so, wir haben den Namen seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Es gab hier eine Joanna Ravenwood, die auf tragische Weise …“
„Ich weiß“, fiel ich ihm ins Wort. „Meine Mutter.“
Die Betroffenheit am Tisch nahm zu.
„Deine Mutter?“ Eine junge Frau, etwa in meinem Alter, mit blondem langem Haar und Sommersprossen im Gesicht – Andrea – hatte fast keine Stimme mehr, als sie das sagte.
„Ja, meine Mutter. Ich bin sozusagen die verlorene Tochter.“
Die Luft am Tisch schien plötzlich zu vibrieren. Verlegenes Hüsteln, verstohlene Blicke. Keiner wusste so recht, was er tun oder sagen sollte. Ben sprengte die angespannte Atmosphäre.
„Das haut mich ja echt um. Joannas kleines Baby. Aber es hieß doch damals, ihr wäret beide tot.“
„Also tot bin ich noch nicht. Aber weder ich, noch Franklin wussten bis vor Kurzem, dass ich Joannas Tochter bin. Ich kann mich an meine Mutter nicht mehr erinnern.“
„Wo warst du all die Jahre?“
Ich musste mir, der Göttin sei Dank, hierauf keine plausible Antwort ausdenken. Franklin kam mir zu Hilfe.
„Habt ihr heute alle nichts zu tun? Melissa ist gerade erst angekommen. Sie hat im Moment andere Sorgen, als euer Verhör über sich ergehen zu lassen.“
Seine Stimme klang nicht im Entferntesten streng. Dennoch verließ sofort jeder, der sein Frühstück beendet hatte, den Raum. Und die wenigen, die noch etwas auf dem Teller hatten, beeilten sich mit dem Essen, um den anderen zu folgen.
„Für diesmal hast du eine Atempause. Aber du wirst offen zu ihnen sein müssen. Geheimnisse solcher Art halten sich nirgends weniger lang als in einem Geheimbund. Und jetzt komm. Ich zeige dir, wie du dich zurechtfindest.“
Er dirigierte mich Richtung Ausgang, ließ mich dann aber an der Tür zum Speisesaal einen kurzen Augenblick allein, um noch ein paar Worte mit John zu wechseln. Ich verstand nicht, was sie sagten, dafür standen sie zu weit entfernt, aber Franklins Miene war entschlossen. Als beide wieder in meine Richtung kamen hörte ich nur noch, wie er sagte: „ … verlasse mich also darauf, John. Jeder ist darüber zu informieren und hat sich strikt daran zu halten. Ich will nicht, dass auch nur ein Wort darüber gesprochen wird.“
„Natürlich, Franklin. Ich werde es den anderen sagen.“
Damit ging John hinaus und lächelte mich im Vorbeigehen freundlich an.
„Worum ging es?“, wollte ich wissen.
„Nicht so wichtig“, antworte Franklin.
„Aber wenn doch alle darüber informiert …“
„Nun, alle, die an dieser Sache beteiligt sind, Melissa. Es ist eine höchst brisante Angelegenheit. Auch solches gehört zu unserem Leben. Unsere Arbeit ist nicht immer angenehm, manchmal ist sie sogar gefährlich.“ Damit war das Thema beendet. Franklin überreichte mir ein Bund mit drei Schlüsseln. „Der große ist für das Tor draußen, das Portal des Hauses selbst wird nie abgeschlossen. Der kleine Schlüssel führt in unser Heiligtum. Ich werde es dir nachher zeigen. Jeder in Gorlem Manor hat diese beiden Schlüssel. Der dritte ist der zu deinem Zimmer. Auch dieses Zugeständnis machen wir jedem Mitglied der Ashera. Aber seit ihrem Bestehen hat noch nie jemand seine Zimmertür abgeschlossen. Das heißt nicht, dass wir es nicht dulden. Aber es ist unüblich.“
Ich verstand, was er meinte. Eine unausgesprochene Regel, die dennoch von jedem beachtet wurde. Aber wenn man sich untereinander die Privatsphäre ließ, war es ja auch nicht nötig, irgendwelche Türen abzuschließen.
Ich bekam eine ausgiebige Führung durch das gesamte Stammanwesen. Als erstes zeigte Franklin mir das Haupthaus von oben bis unten, außer natürlich den privaten Zimmern.
„Die
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