Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
der Lade beginnen.
Ben war lange vor mir wach und weckte mich mit Kaffeeduft und Sandwiches.
„De facto müsste diese Felsgruppe dort drüben die Stelle markieren, an der früher die Versammlungen abgehalten wurden. Die Anordnung der Sträucher rund um das Gestein deutet daraufhin, dass sie gepflanzt wurden.“
Haselnusssträucher wuchsen im Halbkreis und ließen eine große Lücke zum Eintritt in den inneren Bereich. Ben vermutete unter den Felsen eine Kammer, in der man die Lade aufbewahrt hatte. Wenn er Recht behielt, sollte man dort noch Reste der mystischen Energie aufspüren können, die von der Lade ausging.
Wir teilten uns die Arbeit. Er kletterte auf die Felsen, weil er, was Kraft und Geschick anging, eindeutig im Vorteil war. Ich untersuchte den Boden innerhalb des Haselnusskreises. Zunächst schritt ich das komplette Terrain mit einer Wünschelrute ab. Ohne Erfolg. Dann versuchte ich es mit dem Einsatz meines dritten Auges. Ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und durchmaß so den gesamten Bereich. Plötzlich gab der Boden nach. Ich schrie auf, als ich den Halt verlor und in die Tiefe stürzte.
„Mel!“
Ben sah wohl gerade noch meinen Kopf und wild rudernde Arme verschwinden. Nach dem Bruchteil einer Sekunde war der Fall vorbei. Ich landete unsanft auf meinem Allerwertesten. Ein Blick nach oben zeigte, dass ich knapp vier Meter tief gestürzt war. Die Untersuchung meiner Gliedmaßen ergab, dass ich mir glücklicherweise keinen Bruch zugezogen hatte. Über mir sah ich den blauen Himmel. Der wurde gleich darauf von Bens Gesicht verdeckt.
„Bist du in Ordnung?“
„Glaub schon. Nur mein Stolz ist angeknackst. Aua!“
Ein paar blaue Flecke würden sich später sicherlich auch zeigen. Aber das war ja nicht so schlimm. Nachdem Ben festgestellt hatte, dass ich mir nicht den Hals gebrochen hatte, musste er über die Situation lachen.
„Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen! Warte, ich hole ein Seil, und dann zieh ich dich raus.“
Sein Kopf verschwand. Auch ich musste grinsen. „Keine Sorge, ich laufe bestimmt nicht weg“, rief ich ihm noch hinterher. Ich schaute mich in dem Erdloch um. Ging einige Schritte nach rechts. Aber es war so dunkel, dass ich nur wenige Meter weit sehen konnte. Meine Taschenlampe hatte den Sturz leider nicht so heil überstanden wie ich. Und blind wollte ich mich nicht weitertasten. Wer konnte schon wissen, welch unliebsame Überraschungen sonst noch warteten? Gerade als ich zu meinem unfreiwillig improvisierten Eingang zurückkehren wollte, spürte ich eine deutliche Vibration unter meinen Füßen, gefolgt von einem dumpfen Grollen.
„Ben? Könntest du dich bitte beeilen? Hier geht was ganz Merkwürdiges vor.“
Der Satz war noch nicht ausgesprochen, als sich ein zweites Loch unter mir auftat. Diesmal dauerte der Fall erheblich länger. Ich ruderte mit den Armen, streifte Felsnasen, die aus dem Gestein herausragten und in meine Gliedmaßen schnitten, während ich unaufhörlich tiefer stürzte. Unter mir rauschte Wasser. Hoffentlich tief genug, um den Sturz abzufangen, damit ich mir nicht alle Knochen brach. Die Fluten, die Augenblicke später über mir zusammenschlugen, waren tief, aber auch eisig kalt. Mir blieb die Luft weg. Ich wurde unter die Oberfläche gezogen, in undurchdringliches Dunkel hinein. Kämpfte mich hoch, gegen schlingende Wasserpflanzen, die sich um meine Fußgelenke wanden, um mich festzuhalten. Für einen mühsamen Atemzug durchbrach ich die Wasseroberfläche, bevor der Sog mich mitriss. Die meiste Zeit war ich unter Wasser. Dunkles, trübes Wasser – widersprüchlich zu der schnellen Strömung. Vielleicht bildete ich mir die Trübung auch nur ein, weil um mich herum völlige Dunkelheit herrschte. Tief unter der Erde. Ich konnte nicht sehen, wohin die Reise führte. Die reißenden Fluten zerrten unbarmherzig an mir. Pressten mich immer wieder gegen scharfkantige Felsen und raues Gestein. Meine Haut wurde an mehreren Stellen aufgerissen, mein Rückrat und meine Hüften geprellt. Allmählich fühlten sich meine Arme und Beine taub an. Lautes Getöse, das immer stärker anschwoll, deutete auf einen Wasserfall hin. Tatsächlich kam kurz darauf einer in Sicht. Er ergoss sich aus einer höhlenähnlichen Öffnung ins Freie. Man konnte einen Streifen blauen Himmel sehen und helles Sonnenlicht. Ich hielt die Luft an, weil ich nicht wusste, wie tief es hinunterging und wie es unten aussah. Erfreulicherweise war der Wasserfall weder sehr
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