Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
für meine feinen Sinne einen beinah unerträglichen Duft nach Blut und Tod verströmte. Ich bekam eine Gänsehaut. So ungefähr mussten sich Hänsel und Gretel wohl gefühlt haben, als sie das Hexenhäuschen entdeckten.
Im Inneren herrschte trübe Dunkelheit. Die Messer, Sägen und Beile an der Wand waren dennoch nicht zu übersehen. Unterhalb der sauber aufgereihten Schneidwerkzeuge befand sich eine blutverschmierte Holzplatte. Der improvisierte OP-Tisch. Hier also fanden die Morde und Organentnahmen statt. Ich blickte mich nach einem Kühlschrank, einer Gefriertruhe oder Ähnlichem um. Aber vergebens.
„Wie sollte das hier draußen denn auch funktionieren. Ohne Strom“, schaltete sich Osira ein.
Ja, da hatte sie wohl recht. „Ich nehme an, sie bringen Kühlboxen mit und transportieren die Organe darin. Sie werden sie sicherlich möglichst schnell wieder verkaufen. Sonst werden sie unbrauchbar.“ Ich rief Armand noch einmal über das Handy an und beschrieb ihm den Weg zur Hütte. Er war sowieso schon auf dem Weg und folgte der gleichen Spur wie ich. Bosczak hatte die Leiche bereits abtransportiert. Schade, sonst hätte ich das Messer direkt mitgeben können. So blieb mir keine andere Wahl, als erneut Armand zu bitten, es für mich nach Bukarest zu bringen, auch wenn es mir ein wenig leid tat, dass er ständig den Postboten für mich mimen musste.
„Ça ne fait rien. Das macht doch nichts. Zumindest tauge ich noch als Laufbursche, wenn du im Moment schon keine andere Verwendung für mich hast“, sagte er gespielt beleidigt. „Vielleicht hätte ich bei Franklin zuhause einen angenehmeren Zweck erfüllt.“
Er wollte mich aufziehen, necken und meine Eifersucht anstacheln, was ihm auch durchaus gelang. Aber das eingeschnappte Schnauben und mein beleidigter Blick brachten ihn zum Lachen und ich merkte, dass die Spitze nicht ernst gemeint war. Er hatte ja Recht, ich schickte ihn von Pontius zu Pilatus, als wäre er nur ein dummer Botenjunge. Versöhnlich schlang ich meine Arme um ihn und gab ihm einen Kuss.
„Wenn wir wieder in London sind, ja? Versprochen! Dann darfst du dir einen sehr angenehmen Verwendungszweck für mich überlegen.“
Er fasste meine Handgelenke, kreuzte meine Arme hinter meinem Rücken und zog mich noch dichter an sich. Verlockend, wie sich die Muskeln seines Torsos unter dem Stoff anfühlten. Ich spürte das vertraute Prickeln in mir aufsteigen, aber jetzt war kein passender Zeitpunkt. Ein unwilliges Knurren entrang sich seiner Kehle, als er meine Gedanken las.
„Dann eben in London. Aber wehe, du kneifst.“
Ein letztes Mal sah ich mich in der Hütte um. Dann verließen wir den schauerlichen Ort. Die Leute im Dorf wollte ich erst informieren, wenn ich eine handfeste Spur hatte. Andrea wäre also der Einzige, mit dem ich die neuen Erkenntnisse besprach. Ihn musste ich einweihen. Er war schließlich unsere Kontaktperson. Und außerdem der Bürgermeister. Ich hoffte, dass er meiner Bitte entsprechen und die Sache erst einmal für sich behalten würde.
„Eine Messer?“, fragte er mich mit großen Augen. Irgendwie sah er zum Totlachen aus, in seinem gestreiften Pyjama. Vielleicht hätte ich doch besser bis zum nächsten Abend warten sollen, anstatt ihn um vier Uhr morgens aus dem Bett zu holen. Seine Füße steckten in dicken Schaffell-Hausschuhen. Es fehlte eigentlich nur noch die Schlafmütze auf dem Kopf, und er hätte wie eine Figur aus den Karikaturzeichnungen von Wilhelm Busch ausgesehen. „Dann Werwolf nutzen Messer, wenn er sich nicht können verwandeln.“
Ich verdrehte die Augen. Kam ich denn gar nicht gegen diesen Aberglauben an?
„Wie auch immer, wir werden bald wissen, wer Ihr Werwolf ist. Auf dem Messer waren Fingerabdrücke. Doch offen gestanden halte ich von dieser ganzen Werwolfsache nichts. Ich gehe von einem menschlichen Täter aus.“
Der Bürgermeister nickte zwar, schien meinen Erklärungen aber nicht weiter folgen zu wollen. Gut, dann eben nicht. Sobald die Sache aufgeklärt war, würde auch er mit den Fakten leben und seinen Werwolf vergessen müssen. Bis dahin machte es wohl wenig Sinn, ihm das mit dem Organhandel erklären zu wollen.
„Ich denke, wir sollten besser heute Abend weiterreden. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so früh geweckt habe. Wenn Sie etwas Neues erfahren sollten, hier ist meine Karte. Ich höre mein Handy regelmäßig ab.“
Damit ließ ich ihn allein. Hoffentlich würde er nach ein paar weiteren Stunden Schlaf in der Lage
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