Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
des Torsos. Danach ließ er alle paar Schritte ein wenig Blut aus dem Kadaver auf den Weg tropfen. Diesmal machte er sich nicht die Mühe, durch die Lüfte zu schweben oder wie ein Affe von Ast zu Ast zu springen. Es war logisch, dass von der Leiche Schritte wegführen mussten, wenn unterwegs irgendwo ein Messer liegen sollte, das der Mörder verloren hatte. Fehlende Fußabdrücke zu hinterlassen hätte Melissa misstrauisch gemacht.
Auf halbem Weg zur Hütte ließ er das Messer fallen. So, als sei es aus Versehen aus einer Manteltasche gerutscht. Danach setzte er seinen Weg zum Ort der Morde fort. Mel musste auf jeden Fall die Hütte finden und alle Spuren sicherstellen. Nur dann konnte sie alles aufklären und diesen Verbrecher seiner gerechten Strafe zuführen. Oh Gott, er würde doch nicht zum Menschenfreund mutieren? Er musste über diesen Gedanken lachen. Nein, würde er nicht. Aber in diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel.
*
Eloin hatte sich überzeugen lassen, dass eine Umsiedlung im Moment die sicherste Lösung für das Rudel war. Ein vernünftiger Mann. Oder Rüde? Ich schüttelte den Kopf. Das spielte wirklich keine Rolle. Jedenfalls hatte ich etwas Zeit gewonnen um den Täter zu finden. Wenn der Fall aufgeklärt, die Dorfbewohner von der Unschuld der Werwölfe überzeugt und somit alles wieder im grünen Bereich war, konnte Eloin seine Familie zurückbringen. Bis dahin waren sie im Ashera-Gebiet sicherer.
Als ich frohen Mutes den Gasthof betreten wollte, um mich von meinem Fremdenführer durch die Wälder führen zu lassen, stürmte mir eine ganze Gruppe von Männern mit Gewehren entgegen. Allen voran Andrea.
„Was ist denn hier los?“
„Sehen Rudel. Auf der Flucht. Wir nicht mehr warten. Hier!“ Er drückte mir ein Gewehr in die Hand. „Keine Silberkugeln. Aber muss gehen.“
Ich starrte den Männern hinterher, die sich zielstrebig in die Richtung davon machten, die Eloins Rudel nehmen musste, um in den geschützten Bereich des Ashera-Territoriums zu gelangen. Verdammter Mist, wie hatten diese Leute das herausfinden können? Mir blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Irgendwie musste ich Eloin warnen. Ich hielt mich hinter Andrea und den übrigen Jägern. Als die Gelegenheit günstig war, verließ ich den eigentlichen Weg und nahm die Luftlinie zu Eloins Fluchtweg.
Mehr als einmal stellte ich fluchend fest, dass ein modernes Navigationssystem im sonst so praktischen Asheramantel fehlte. Es wäre wesentlich einfacher gewesen, wenn ich diese ländliche Gegend irgendwie hätte einordnen können. Abgesehen davon, dass sich Wiesen und Wälder abwechselten, sah alles gleich aus. Die anderen kannten jeden Busch und jeden Stein hier. Ich hingegen hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich mich befand, oder wie weit es noch bis zum Ashera-Gebiet war. Wenn ich Osira dabei gehabt hätte, wäre das alles kein Problem gewesen, doch sie hatte sich bereit erklärt, die Lycaner zu führen. Ich stand auf freiem Feld, schaute nach links und rechts, konnte aber nicht erkennen, welchen Weg ich nehmen musste. Wie schon in der Nacht zuvorvernahm ich ein Krächzen über mir. Sekunden später glitt die Krähe mit der blauen Feder über mich hinweg. Ihr Flug wies mir abermals den Weg.
Schließlich landete der Vogel auf einer allein stehenden Kiefer. Als ich darunter stehen blieb, flog sie zu mir, um auf meiner Schulter Platz zu nehmen. Sie schaute zum gegenüberliegenden Hang, als eben das erste Tier eines großen Wolfsrudels über die Kuppe kam.
Eloin war schlauer, als ich vermutet hatte. Er hatte die Gefahr bereits gewittert und statt Werwölfen rannten nun echte Wölfe durch die nächtliche Landschaft. Sie waren nur noch wenige Meter von dem Wald entfernt, der sie in sichere Gefilde führen würde. Pfeilschnell rannten sie den schneebedeckten Hügel hinunter. Fort von den Jägern, fort von dem Feuer, fort von den tödlichen Waffen. Ich konnte Andrea und die anderen hören. Schüsse zerrissen die Stille der Nacht.
„Eloin!“ Der Kopf eines silbergrauen Tieres fuhr zu mir herum. „Dorthin. Folgt Osira in den Wald!“
Das Rudel verschwand in den Schatten am Waldrand, gerade als die Verfolger in Sicht kamen. Zeit, meine Kräfte auszuprobieren, wie Lucien es mich gelehrt hatte. Diesmal zu einem guten Zweck. Ich konzentrierte mich, ballte die Hand zur Faust, schloss die Augen. Schnee, dachte ich. Feiner Puder, der die Spuren verdeckt. Ich öffnete meine Hand und blies sacht darüber, stellte mir
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