Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
irgendwohin. Nicht einmal die vom Abtransport der letzten Leiche vor wenigen Tagen war noch zu sehen. Auch diese Suche war eine nach der Stecknadel. Nach einer noch viel kleineren Stecknadel, als es die Lycaner gewesen waren.
Eine Stimme riss mich aus meinen trübsinnigen Überlegungen. ‚Folge mir!’ Camilles Krähe war nirgends zu sehen. Außerdem hatte diese bislang auch nicht in Worten zu mir gesprochen. Osira drehte ihren Kopf in alle Richtungen, um den Ausgangspunkt der Stimme zu orten.
„Sie scheint von dort hinten zu kommen. Aus dem tieferen Wald.“
Eine fragwürdige Spur war besser als keine. Wenn Osira die Stimme auch hörte, hatte ich sie mir zumindest nicht eingebildet. Meine Wölfin trabte voran, die Ohren gespitzt. Ich folgte ihr, blickte mich ständig um. Es war zwar keine Angst, die mir im Nacken saß, doch irgendetwas lauerte definitiv. Meine Wölfin änderte mehrmals die Richtung. Ich wollte ihr schon unterstellen, dass sie sich grundsätzlich den schwierigsten Weg durch das dichteste Unterholz suchte. Schließlich war ich diejenige, die teils auf allen Vieren durchs Gestrüpp kriechen musste.
„Beschwer dich nicht. Ich verbringe mein ganzes Leben auf allen Vieren.“
Dagegen konnte ich nichts vorbringen. „Hörst du noch etwas?“
Sie schüttelte den Kopf. Es war auch gar nicht mehr nötig, etwas zu hören, denn in diesem Moment stieg mir der Geruch von Blut in die Nase. Totem Blut. Es kam von einer Gestrüppansammlung. Schon im Näherkommen sah ich, dass diese Büsche ausgerissen und auf einen Haufen zusammengeworfen worden waren. Jemand wollte etwas verdecken. Eine schmale, blasse Hand ragte unter den dünnen Zweigen hervor. Ich zog den ersten Strauch beiseite. Darunter kam das Gesicht einer etwa zwanzig Jahre alten Frau zum Vorschein. Hier hatten noch keine Waldbewohner ihre Spuren hinterlassen. Die Leiche befand sich in einem tadellosen Zustand. Wenn man davon absah, dass sie nun mal tot und ihr Torso wie bei den anderen Opfern aufgeschlitzt und ausgeweidet war.
Wenige Schritte neben dem Körper fand ich Blutstropfen im Schnee. Der Mörder musste die Leiche sehr bald nach seiner Tat hierher gebracht haben. Oder er hatte sie diesmal anders transportiert. Bei allen anderen hatte es keine Blutspuren gegeben, die man hätte verfolgen können. Ich rief Armand über mein Handy an, um ihm mitzuteilen, was ich entdeckt hatte und zu fragen, ob er wohl bei der Leiche auf den Ashera-Pathologen aus Bukarest warten könne, während ich der Blutspur folgte. Binnen weniger Minuten war er vor Ort, kaum dass ich das Telefonat mit dem Mutterhaus beendet hatte. Wie machte er das nur, dass er sich so gut in einer wildfremden Gegend zurecht fand?
„Ivan Bosczak wird gleich hier sein. Hilfst du ihm dann mit der Leiche?“ Armand nickte und ich gab ihm dankbar einen Kuss, ehe ich der Blutspur folgte.
„Sei vorsichtig“, bat er noch.
„Was soll mir denn schon passieren?“
Es fanden sich eine Menge weiterer Tropfen im Schnee. Und daneben Fußabdrücke. Sollte ich tatsächlich ein solches Glück haben? Es war leicht, dieser Fährte zu folgen. Auch wenn ich mich immer wieder fragte, woher wohl diese Nachlässigkeit rührte. Fühlte man sich so sicher? Oder hatte man mit weiterem Schneefall gerechnet, der dann ausgeblieben war?
Das Blut roch merkwürdig. Aber ich konnte nicht ganz greifen, was mir daran seltsam vorkam. Vielleicht weil es nicht mehr frisch war. Es roch anders als die Leiche selbst. Doch eine Spur davon war auch dort zu vernehmen gewesen. Möglicherweise waren es irgendwelche Beruhigungsmittel, die man dem Opfer gespritzt hatte Das sollten die Leute im Labor analysieren.
Ich war so auf die Fußabdrücke und roten Tropfen fixiert, dass ich nicht genau darauf achtete, wohin ich trat, bis ich plötzlich über etwas stolperte und der Länge nach hinfiel. Ich richtete mich wieder auf, fluchte und tastete nach der Ursache meines Falls. Ein schwarzer Stock lugte ein Stückchen aus dem nassen Weiß. Ich zog daran. Aus dem festgefrorenen Schnee löste sich eine gezahnte Klinge. Schon auf den ersten Blick war ich mir sicher, dass dies die Mordwaffe sein musste. Ein Messer, mit dem man perfekt die Zähne eines Raubtieres imitieren konnte.
Sorgsam verstaute ich den Fund in einem Plastikbeutel, ehe ich meinen Weg fortsetzte. Kaum eine halbe Stunde später stand ich vor einer kleinen Tannenschonung. Die Schritte führten mitten hinein. Zwischen den Nadelbäumen stand eine unscheinbare Hütte, die
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