Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
ihm erzählt, dass die Legende des unschuldigen Vampirs mich erst zu ihm und dann zu Darius geführt hatte und dass dieser uns schließlich zu ihm schickte.
„Ja, Darius“, bestätigte ich noch einmal.
„Wer sonst? Er ist der Einzige unserer Art, der weiß, wo ich lebe. Aber ich hätte nie gedacht, dass er mich verraten würde. Mein alter Freund.“
Die Bezeichnung Freund irritierte mich. Darius hatte von Hass gesprochen. Doch im Augenblick interessierte mich wenig, wie die beiden zueinander standen. Ich brauchte den Jungen – Arante. Bisher deutete nichts darauf hin, dass er noch bei Anakahn lebte, nur ein Stuhl am Tisch, nur ein Krug mit Blut, ein Becher. Aber ich war sicher, dass er wusste, wo ich ihn fand, ich musste ihn nur dazu bringen, es mir zu sagen.
„Es geht um zu viel, als dass er hätte schweigen können, Anakahn. Die Bedrohung lässt keinen Platz für Loyalität, das mag ihn entschuldigen.“
„Loyalität? Ich glaube nicht, dass es etwas damit zu tun hat. Ebenso wenig wie es an der Bedrohung liegt, dass er nicht geschwiegen hat. Doch das führt zu weit, du würdest es in deiner Jugend und mit deinem menschlichen Herzen nicht verstehen.“
„Warum versuchst du es nicht einfach?“
Er lachte, warf Saphyro einen Blick zu. Die beiden kommunizierten stumm – über mich. Der Kopf des androgynen Lords senkte sich kaum merklich, woraufhin Anakahn leise seufzte.
„Nun gut, es spielt ohnehin keine Rolle, ob du es weißt oder nicht. Aber vielleicht hilft es dir, meine Entscheidung besser zu verstehen. Darius und ich waren Jagdgefährten. Viele Jahrhunderte lang. Wer wen verließ, spielt keine Rolle mehr. Ein dummer Streit, er führte zu Hass. Darius konnte noch nie vergeben. Ich zog mich in die Wüste zurück, erschuf den Kult eines Blutgottes. Darius zog lange Zeit ruhelos umher.
Irgendwann gründete er ein Kloster mit den sterblichen Mönchen, die dort bereits lebten. Er machte sie zu seinen Sklaven mit seinem mächtigen Blut. Vielleicht verwandelte er auch einige von ihnen oder tötete sie. Ich weiß es nicht. Wenn du sie gesehen hast, wirst du dir ein Bild davon machen können. Er ließ sich die Kinder von vermögenden Familien bringen. Jungen und Mädchen. Um sie in zwei getrennten Trakten des Klosters zu unterrichten. Eine Klosterschule der besonderen Art. Wie er es geschafft hat, in der damaligen Zeit beide Geschlechter in einem Kloster unterrichten zu dürfen, ist mir schleierhaft. Die „Nonnen“ machte er zu seinen Geliebten. Zweifellos Geschöpfe, die selbst als Sterbliche nicht zu Gott beteten. Aber das spielt keine Rolle. Die Kinder, die man ihm brachte, blieben. Keines kehrte zu seiner Familie zurück. Ob sterbliche Sklaven des Blutes oder Vampire, wer weiß das schon. Sie blieben aus freien Stücken. Mönche und Nonnen des Klosters. Doch irgendwann geschah etwas, ich weiß nicht, was es war. Das Kloster nahm niemanden mehr auf und die Vampire innerhalb der Mauern verschrieben sich der Enthaltsamkeit. Sie wollten rein werden, so hieß es, und es ist ihnen wohl auch gelungen.“
Ich hatte keine Frauen im Kloster gesehen, was aber nicht hieß, dass keine dort waren. Doch nach seinem heutigen Ruf lebten sie dort ohne dass es bekannt war, sonst hätte die Kirche es nicht geduldet.
Anakahn machte eine kurze Pause, als müsse er nach weiteren Erinnerungen erst suchen.
„Du weißt von dem Jungen, denn wegen ihm bist du hier. Darum werde ich nicht so tun, als gäbe es ihn nicht. Er ist anders. Er gehört nicht in die Nacht. Darum brachte ich ihn zu Darius, weil ich glaubte, dass er dort glücklich werden könnte. Ich baute darauf, dass seine neue Weltsicht auch den Hass in Darius beendet hatte. Arantes Seele, so glaubte ich, konnte innerhalb der Klostermauern Frieden finden. Wo es doch wahrhaftig die eines Heiligen ist.“
„Das war riskant, nicht wahr? Darius hätte den Jungen töten können.“
„Darius mag böse sein, wie jeder Dämon. Und sein Hass auf mich brennt heiß. Doch er hat Ehrgefühl, wie jeder von uns. Er hätte dem Jungen niemals ein Haar gekrümmt. Wenn ich mir über nichts anderes sicher war, darüber schon.“
„Und was passierte?“
„Er hat sich geweigert. Hat den Jungen abgewiesen und uns beide fortgejagt. All die frommen Reden, aber er vergab mir nie.“
Seine Worte stimmten nachdenklich. Machten mir bewusst, wie wenig ich über meine eigene Art wusste, über die unterschiedlichen Lebensarten. „War es nicht schwierig für ihn, Jahrhunderte lang ein
Weitere Kostenlose Bücher