Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
Ursprung kamen, desto stärker nahm sie mich gefangen. Sie vibrierte in jeder Zelle meines Körpers, bestimmte den Schlag meines Herzens, löste ein Sehnen in mir aus, das fast schon Schmerz war. Ich fühlte, wie eine Träne über meine Wange rann, wischte sie hastig fort, damit Saphyro sie nicht sah.
Der Raum, den wir betraten, sah nicht nach einer Höhle aus, eher wie das Innere eines Tempels. Schlicht und doch erhaben wirkte er mehr durch die Aura, die ihn erfüllte, als durch optische Schnörkel und Ausstattung. Noch immer stand ich unter dem Bann der Musik, der von den mentalen Schwingungen hier im Raum verstärkt wurde. Daher blickte ich Saphyro verwirrt an, als er mich an den Schultern fasste und lächelnd zu einer Seite des Zimmers wies. Ich sah und erkannte ihn im selben Augenblick.
Anakahn. Der mächtige Lord mit dem langen aschblonden Haar und den kalten grauen Augen, dessen schlichtes Mönchsgewand nicht über seine Erhabenheit hinwegtäuschen konnte. Einer derer, die für Ivankas Tod durch den Sonnenkuss gestimmt hatten. Die Bitterkeit der Erkenntnis versetzte mir einen Stich und ließ meine Beine zittern. Meine Kehle war wie zugeschnürt, ließ nicht einmal ein Wort des Grußes über meine Lippen kommen. Saphyro sprach stattdessen.
„Wir grüßen dich, Anakahn, Sohn der Kaliste.“
„Und ich grüße dich Saphyro, Sohn der Kaliste. Und deine Begleiterin, einen Zögling Luciens, wenn ich mich recht entsinne. Mit einem Hang zu leichtfertiger Wandlung und Schlimmerem.“
Er wusste es! Er wusste, was Steven und ich getan hatten, dass nun beider Blut in meinen Adern floss. Erst jetzt kam in mir die Frage auf, ob auch Saphyro diese Tatsache gespürt hatte. Sein Blick bestätigte es, sagte aber gleichzeitig, dass es in seinen Augen keine Rolle spielte.
„Wir stehen hier nicht vor Gericht, Anakahn. Und es ist längst keine Ehre mehr, Sohn der Kaliste zu sein.“
Seine Stimme klang traurig. Der blonde Lord nickte bedächtig.
„Nein, das ist es wohl nicht mehr. So viele Lügen. Doch zu welchem Zweck?“
„Braucht eine Königin eine andere Rechtfertigung als ihre Herrschaft?“
Anakahn lachte, was seinem Gesicht eine Sanftmut verlieh, die ich nicht erwartet hatte. Er neigte höflich den Kopf, wies auf ein Tablett mit einem Krug und einem Becher.
„Bescheidenes Tierblut, doch ich kann hier draußen nicht wählerisch sein. Die Jagd in der Stadt ist nicht ganz ungefährlich und ein Mensch verirrt sich kaum hierher.“
Die Stadt gefährlich? Für einen wie ihn? Kaum einer konnte leichter Menschen täuschen und töten als ein Lord.
„Nicht um meinetwillen ist es gefährlich, Melissa Ravenwood. Doch das sei für dich ohne Belang.“
Er wiederholte sein Angebot mit dem Krug, doch für Höflichkeitsfloskeln hatten wir keine Zeit. Ich musste mein Anliegen vorbringen, aber ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Diese Musik – sie gab meinen Geist nicht frei, spülte in Wellen über meine Seele, streichelte sie zärtlich wie die Hand eines Geliebten, brachte mich gleichzeitig zur Verzweiflung, weil ich kaum mehr Herr meiner selbst war. Und dann plötzlich verstummte sie abrupt.
„Besser jetzt?“, fragte Anakahn und sein Gesicht zeigte Sorge.
„Ja, danke.“
„Ich muss um Vergebung bitten, denn ich habe mich so an das Spiel gewöhnt, dass ich seine Wirkung zuweilen vergesse.“
Ich schaute mich im Raum um, fand aber weder ein Instrument noch irgend ein anderes Gerät, das diese Klänge erzeugt haben konnte.
„Bitte, sagt weshalb ihr gekommen seid, und lasst mich dann wieder in meiner Einsamkeit zurück. Ich ertrage die Nähe von anderen nicht.“
Die Jagd gestaltete sich für Warren schwieriger als Steven erwartet hatte, was ihn zu der Frage brachte, ob Mel ihn überwiegend von sich hatte trinken lassen. Sehr oft hatte er noch nicht getötet, das stand fest. Er ging sehr zaghaft vor, entweder wurde er kaum von der Gier des Dämons gelenkt, oder aber er fürchtete so sehr, die Kontrolle zu verlieren, dass er ihn bewusst unterdrückte. Steven konnte ihm nicht helfen, solange er das nicht wusste, also blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn danach zu fragen. Warren wich seinem Blick aus und gestand, dass seine erste Jagd an Mels Seite der pure Horror gewesen war.
„Es war nicht ihre Schuld. Sie hat mir geholfen, die Eindrücke zu filtern und meinem Dämon die Führung zu überlassen, aber … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Das … Ding, das auf einmal losstürmte, war
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