Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
Haar.
„Wie lange wird sie so schlafen?“, flüsterte ich, als wolle ich sie nicht wecken. Doch eigentlich hatte das Flüstern seinen Grund mehr in meiner ängstlichen Anspannung.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er nah bei mir und im nächsten Moment legte er mir seine Hände auf die Schultern.
Eine Geste der Wärme in dieser kalten, dunklen Kammer aus grauem Stein, im Licht der vier brennenden Fackeln in ihren Halterungen an der Wand. In jeder Ecke eine. Trotzdem fror ich unter dieser Berührung, weil sie mir falsch vorkam.
Er fühlte Liebe, doch ich?
Ich dachte an Armand und wie sehr ich ihn jetzt an meiner Seite wünschte. Er war dort draußen irgendwo. Und warum auch immer, ich glaubte in diesem Moment ganz fest daran, dass er an mich dachte.
Steven unterbrach meine Gedanken, weil ich ihm keine Antwort gab, und versuchte mich zu beruhigen.
„Stunden, Tage, vielleicht auch Wochen. Wir müssen abwarten. Aber erwachen wird sie ganz sicher. Ein Dämon bekämpft nun den anderen. Es wird sich zeigen, wer gewinnt. Wichtig ist, dass jetzt immer jemand bei ihr ist. Und dass sie keinem Sonnenlicht ausgesetzt ist. Sonst hat der Vampir keine Chance, den anderen Dämon zu bezwingen.
Kaum zu glauben, dass in ihr ein solcher Kampf toben sollte. Vermutlich ganz ähnlich dem, den Steven und ich gefochten hatten, als wir unsere Blutdämonen vereinten.
Jennys Gesicht war so entspannt, wie seit dem Tag nicht mehr, an dem wir sie auf die Krankenstation gebracht hatten. Fast schon erschreckend ausdruckslos, wächsern wie das einer Toten. Nur der Glanz des dünnen Schweißfilms auf ihrer Stirn zeugte davon, dass sie noch lebte – auf irgendeine Art. Ich wusste selbst nicht, welche.
Ob sie Fieberträume hatte? Ihr Atem war ruhig. Ihre Augen hinter den geschlossenen Lidern bewegten sich nicht. Die Lippen, eben noch rot wie reife Kirschen von Arantes Blut, verblassten jetzt langsam. Ich streichelte ihr übers Haar, breitete es um ihren Kopf wie einen Heiligenschein. Die Haut, die ich berührte, wurde schon kalt. Im Moment deutete alles auf einen Sieg das Vampirs hin. Doch Steven war noch immer nicht sicher.
„Was passiert mit dem Baby?“, fragte ich schwach.
„In ihm ist die Wurzel des Dämons. Es wird sterben. Wenn der Vampir gewinnt, wird ihr Körper es resorbieren oder abstoßen. Je nachdem.“
Ich erschauerte und meine Augen schwammen rot in Tränen.
„Melissa, es war von Anfang an klar, dass es um sie
oder
das Kind ging. Hätte sie es zur Welt gebracht, wäre sie nutzlos für den Dämon geworden und sowieso gestorben. Wenn sie leben soll, muss das Kind sterben.“
Ein ohrenbetäubender Lärm aus dem oberen Stockwerk riss mich aus meinem Mitgefühl für das Ungeborene.
„Was war das?“
Steven und ich rannten die Treppe hoch, Franklin kam uns vor Jennys Zimmer entgegen, deren Schrei von unten zu uns heraufschallte und uns das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Ehe ich wieder zu ihr zurückeilen konnte, hielt Steven mich auf. „Ich sehe nach dem Mädchen. Schaut ihr nach, was hier oben los ist.“
Mein Vater und ich blickten uns unsicher an, dann öffnete er die Tür.
Der Boden in Jennys Zimmer war von Scherben übersät. Der große Spiegel in der Ecke war in tausend Stücke zerborsten.
Brachten zersplitterte Spiegel nicht Unglück? Meine Hand zitterte, in meinem Mund hatte ich einen bitteren Geschmack, als ich die erste Scherbe vorsichtig umdrehte, als lauere ein tödlicher Skorpion darunter. Ich warf einen Blick auf das Fragment und ließ es mit einem Aufschrei wieder fallen. Beinah rannte ich Franklin um, als ich rückwärts wich. Seine Hände auf meinen Armen, beruhigten mich wieder, doch noch immer waren meine Augen schreckgeweitet auf das gerichtet, was der Spiegel zeigte.
„Ein Zwillingsgnom“, sagte mein Vater und ging jetzt in die Knie, um weitere Scherben aufzudecken.
Teile eines Gesichtes, doch dort wo Mund, Augen oder Nase sein sollten, war es nur mit einer fast durchsichtigen Membran überzogen. Auch auf den anderen Splittern zeigten sich nur angedeutete Gliedmaßen, alle umspannt mit dieser dünnen Haut.
„Er hat unsere Jenny in den Spiegel gelockt und sie gegen diesen Gnom ausgetauscht. Darum war sie zuletzt auch so verändert.“
„Und … und jetzt?“
„Nun, ich denke, da der Spiegel zerbrochen ist und uns den Gnom zeigt, wird mit dem Tod des Ungeborenen auch Jenny wieder in ihren Körper zurückgekehrt sein.“ Er fasste mich sanft am Ellenbogen, weil ich immer noch unter
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