Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
Schock stand. „Lass uns nachsehen.“
Doch das war nicht nötig. Als wir uns umdrehten, stand Steven im Türrahmen, Jenny auf seinen Armen, die sich an ihm festhielt und den Kopf an seine Schulter gelegt hatte. Sie schaute zu mir, wirkte schwach und erschöpft, doch in ihren fluoreszierenden Augen sah ich das Glitzern des Blutdämons.
Sie lauschte dem Regen mit geschlossenen Augen, hörte wie die Tropfen auf das Schieferdach plätscherten und gegen die Scheiben klopften. Der Himmel weinte um sie, um ihre verlorene Seele, ihr totes Kind.
Jenny schlang die Arme um ihren Leib und zitterte. Wie oft hatte sie Mels überirdische Schönheit bewundert, sich danach gesehnt, etwas davon zu besitzen, das ihre große Seelenschwester so edel, anmutig und zeitlos erscheinen ließ. Nun besaß sie alles davon und konnte nichts Gutes daran finden.
Ihr Verstand wusste, dass ihr Baby ein Halbdämon gewesen war und sie ohne Skrupel bei der Geburt getötet hätte, indem es sich seinen Weg ins Leben bahnte, und doch trauerte sie dem Verlust nach. Wenn sie es nur ein Mal in den Armen hätte halten können,es an ihre sehnende Brust legen und nähren.
Nähren! Der Gedanke hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Sie würde sich ernähren von einer ganz besonderen Milch und vielleicht sogar andere damit nähren, zu einem niederen Zweck. Wie ertrug Mel das nur? Jenny fühlte sich innerlich tot, sie fror entsetzlich, empfand unsäglichen Verlust. Was war noch lebendig an ihr? Sie hatte einen zu hohen Preis zahlen müssen, auch wenn sie ganz allein die Schuld daran trug.
Ihre Tränen fielen ins Konzert des Regens mit ein, selbst wenn sie nur ganz leise auf den Boden trafen. Sie erschauerte bei dem Geräusch. Es gab jetzt nichts mehr in ihrem Leben, das ohne Klang, ohne Duft war. Alles trug eine fremdartige Schönheit in sich, fühlte sich vertraut und neu zugleich an. Ihr Geist war noch zu verwirrt, um alles zu begreifen. Der einzige Halt, ihr Trost in diesem Chaos, das nun ihr Denken, Fühlen, ja ihre ganze Existenz erfüllte, war dieser sonderbare Junge mit dem weißblonden Haar, der ihr sein Blut gegeben hatte.
Sie wusste, dass er unten bei Mel im Kaminzimmer saß, zusammen mit seinem Dunklen Vater und Franklin. Und doch glaubte sie, in diesem Augenblick seine Blicke zu spüren. Sanfte Blicke, die sie streichelten, die nicht forderten wie bei Josh. Sie hatte das gleiche Erstaunen bei ihm gesehen, das auch sie empfand, als sie sich gestern nach ihrer Wandlung noch einmal begegnet waren. Von dem anderen – Anakahn – schlug ihr nur Ablehnung entgegen. Doch Arante und sie verband etwas. Hatte er sie deshalb gerettet?
Ob Franklin sie mit diesem Jungen gehen ließ, wenn sie darum bat? Sie wünschte es sich. Hier konnte sie unmöglich bleiben. Gorlem Manor war ein Alptraum für sie mit all den Eindrücken, die hier auf sie einstürmten. Außerdem fühlte sie, dass sie nicht mehr zu diesen Leuten gehörte. Mit einem Mal verstand sie Mel sehr gut. Warum sie nicht im Mutterhaus wohnte, warum sie sogar London verlassen hatte, nachdem Armand fort war. Wieso sie nichts hier hielt, außer den Seelenbanden zu denen, die ihr nahe standen.
Die Ashera war kein Ort für einen Bluttrinker. Zu offensichtlich, wie anders sie jetzt war.
Ich kämpfte mit den Tränen, als ich Jenny so verloren am Fenster ihres einstigen Zimmers sitzen sah, wie sie in den Londoner Regen starrte und mit sich und ihrer neuen Natur kämpfte. Der Engel in ihr war gestorben, doch ich hatte das Gefühl, dass dies lange vor der Wandlung geschehen war und nicht durch Arante.
„Darf ich dir ein wenig Gesellschaft leisten?“, bat ich.
Sie warf mir einen zögernden Blick zu, nickte aber.
„Du siehst traurig aus, Jenny. Es tut mir sehr leid wegen deinem Baby. Und wegen …“ Ich biss mir auf die Lippen, weil mir die Worte fehlten, es auszudrücken.
„Die Alternative war wohl nicht viel besser“, gab sie gleichmütig zurück und starrte wieder hinaus.
Ich setzte mich zu ihr, streichelte zögernd über ihr Haar und sie wehrte mich nicht ab, sondern lehnte sich an mich. Ihr Kummer war körperlich fühlbar und schnitt mir tief ins Herz, während ich die Arme um sie legte.
„Was vermisst du am meisten?“, wollte Jenny wissen.
Ich blickte auf sie herab, sie hatte ihre Augen geschlossen und lauschte den Regentropfen. Meine Augen schwammen in blutigen Tränen.
„Ich vermisse es, die Sonne aufgehen zu sehen. Ihre Wärme auf meiner Haut zu spüren. Und die vielen
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