Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
in unserer Wohnung, bis er zurückkam. Ich tigerte unruhig hin und her. Meine Nerven lagen blank. Mein Vater versuchte, mir Mut zuzusprechen, mich abzulenken – vergebens. Als mein Handy schließlich klingelte, fuhr ich zusammen, als sei es die Einläutung der Apokalypse. Die Nummer war mir fremd, dennoch nahm ich den Anruf an.
„Mel? Du musst sofort kommen, bitte. Kaliste ist in der Stadt. Ich habe Angst. Ich glaube, sie ist hinter mir her.“
„Wo bist du, Warren?“
Er beschrieb mir den Weg zu einem alten Kino, das in Kürze abgerissen werden sollte. Dort hatte er sich versteckt, nachdem ihn unsere Königin zusammen mit zwei Wieseln am Piccadilly erspäht und durch die halbe Stadt gejagt hatte. Die Gefs hatten feine Nasen, sie würden ihn früher oder später wieder aufspüren. Dass Kaliste es auf jeden Vampir abgesehen hatte, der eine Verbindung zu mir besaß, war zu erwarten gewesen. Und bei Warren war diese besonders stark, weil sie mein Blut in ihm spürte.
„Mel, du kannst jetzt nicht gehen“, versuchte Franklin, mich aufzuhalten. „Das ist zu gefährlich. Und Armand wird bald zurück sein.“
„Dann musst du ihm eben sagen, dass sich der Entscheidungskampf vielleicht vorverlegen wird. Ich kann Warren nicht im Stich lassen, er ist mein Sohn.“
„Und wenn sie dich erwischt? Sie hat jetzt Elektrumkugeln!“
Ich atmete tief durch. Mir schlug das Herz bis zum Hals, dennoch lag eine merkwürdige Ruhe auf mir, weil ich genau wusste, was ich tat und dass ich es tun musste.
„Aus diesem Grund kann ich ihn nicht seinem Schicksal überlassen. Tut mir leid, Dad, dafür ist er mir zu wichtig. Hier!“ Ich warf ihm mein Handy zu. „Der Eintrag D. Brown. Ruf ihn an und sag ihm, wo ich hingegangen bin. Es ist immerhin auch sein Sohn. Auch Dracon wird nicht zögern zu kommen.“
Armand wusste nicht, dass ich Dracons Nummer gespeichert hatte. Auch wenn ich ihn nie anrief, wollte ich doch die Möglichkeit haben, Kontakt aufzunehmen, wenn es erforderlich war. Er bedeutete mir etwas. Nicht so viel, wie er es sich wünschte, aber mehr, als Armand verstehen würde.
Das Kino lag in einem Außenbezirk Londons. Die Clubs und Bars in der Nachbarschaft wirkten heruntergekommen oder waren bereits geschlossen. Dort, wo noch Lichtreklamen verirrte Nachteulen einluden, saßen lediglicheine Handvoll Menschen an schmutzigen Theken auf abgewetzten Hockern.
Die Vordertür des Lichtspielhauses war mit schweren Ketten und einem Vorhängeschloss verbarrikadiert. Eine Seitentür stand offen. Hier musste Warren hineingeschlichen sein.
Es war dunkel in den Räumen. Da man die Fenster mit Holz vernagelt hatte, nachdem etliche Scheiben von Randalierern eingeschlagen worden waren, fiel nicht einmal das Licht der Straßenlaternen oder Werbetafeln herein. Mit meinen Vampiraugen konnte ich mich dennoch gut orientieren. Ich spitzte die Ohren und lauschte, ob ich Warren fand, ohne nach ihm rufen zu müssen. Falls Kaliste oder einer der Gefs in der Nähe sein sollte, wollte ich nicht riskieren, uns zu verraten.
Das Kino hatte zwei Stockwerke, in seinen besten Zeiten war es sehr beliebt gewesen. Die halb abgerissenen Plakate an den Wänden zeigten Blockbuster, die jedem ein Begriff waren. Ich schlich in den größten der fünf Kinosäle, vorbei an unvollständigen Sitzreihen und aufgerissenen Polstern.
Mir war, als hörte ich jemanden atmen, doch das konnte der Wind sein. In der Nähe der Leinwand vernahm ich plötzlich ein Klicken in meinem Rücken. Ich erstarrte, meine Haut prickelte wie elektrisiert. Das Geräusch kannte ich gut. Meine Sinne richteten sich auf die Person hinter mir, die mich mit einer Waffe bedrohte. Seltsamerweise verspürte ich keine Angst, nicht einmal Unruhe. Es schwang trotz der auf mich gerichteten Mündung keine Bedrohung in der Luft, sondern etwas Vertrautes. Und dann wusste ich, was es war, wirbelte herum und blickte meinem Gegner in die Augen. In ein zynisch grinsendes Gesicht.
„Warren!“
„Hallo Melissa. Schön, dass du kommen konntest.“
Seine Stimme klang freundlich wie immer. Er betrachtete mich eindringlich.
„Es ist nichts Persönliches“, fuhr er fort. „Na ja, vielleicht doch. Aber nicht wegen dir. Du musst nicht denken, dass ich dir immer noch vorwerfe, wie du mich verwandelt hast. Im Gegenteil. Heute bin ich froh darüber und über die zweite Chance, die Dracon mir gegeben hat. Es ist gar nicht so übel, Vampir zu sein. Manchmal trickst mich dieser rote Teufel in mir noch aus, aber
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