Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
steinernen Schutzwall, weiter zum darauf folgenden und hangelte sich bis zur Straße. Dort angekommen wedelte er hektisch mit den Armen und schrie den beiden Sangui zu, die zwar sofort in seine Richtung blickten, aber noch nichts unternahmen. Bis die Scheibe eines vorbeifahrenden Taxis zerbarst und der Fahrer den Wagen mit quietschenden Reifen querstellte. Da kam endlich Wallung in die Kerle. Sie zogen ihre Waffen, rannten über die Straße und zielten … auf ihn? Das konnte ja wohl nicht wahr sein.
„Ihr Idioten, ich werde verfolgt. Macht lieber den Schützen platt!“
Entweder wollten sie ihn nicht hören, oder waren geistig nicht die Hellsten. Ihrer Aufforderung, sofort stehen zu bleiben, kam er auf keinen Fall nach, denn hier oben trog das Echo nicht. Sein Verfolger befand sich keine zwei Pfeiler hinter ihm und zögerte bestimmt nicht, sofort wieder anzulegen. Das Taxi war lediglich von einem Querschläger getroffen worden, aber in wenigen Sekunden stand er in direkter Schusslinie. Cyron nutzte die Tatsache, dass der Taxifahrer sich gerade erst von seinem Schock erholte, sprang ins Auto und brüllte: „Losfahren! Die Kerle schießen auf mich.“
Es handelte sich sicher weniger um Nächstenliebe als um Angst, selbst getroffen zu werden. Das Endergebnis war dasselbe: Der Mann trat das Gaspedal durch und fuhr mit quietschenden und qualmenden Reifen an. Der Abstand zwischen den Sangui und seinem Fluchtfahrzeug wurde rasch größer. Von dem Schützen war nichts zu sehen.
Rauchfeuer am Horizont
D er Mann, der bei Franklin saß, war mir unbekannt. Ein südländischer Typ mit schulterlangem schwarzem Haar und ebenso schwarzen Augen, die von einem dunklen Kranz aus langen seidigen Wimpern umrahmt wurden. Die Augenbrauen hatten einen feinen Schwung. Seine Züge waren scharf geschnitten, ohne kantig zu wirken. Weiche Lippen, auf denen ein Lächeln lag, während er sich mit Franklin unterhielt. Ich hatte ihn noch nie im Mutterhaus gesehen, doch Franklin ging vertraut mit ihm um, wenn auch aufhöflich-distanzierte Weise.
Der Mann strahlte Sanftmut und Ruhe aus, gleichzeitig auch Temperament, denn seine Haltung verriet Stolz. Er war glatt rasiert, aber die Bartstoppeln schimmerten bereits wieder dunkel auf der milchkaffeefarbenen Haut. Als er nach dem Weinglas griff, bemerkte ich, wie schmal und gepflegt seine Hände waren. Sorgfältig auch der Rest seiner Erscheinung. Ein weinrotes Hemd aus Seide, schwarze Hosen aus samtartigem Cord. Beides exklusiv geschnitten. Seine schwarzen Schuhe waren blank geputzt, sodass sich die Flammen der Kerzen darin spiegelten. Eine schmale Figarokette an seinem Hals und das passende Armband an seinem rechten Handgelenk waren aus massivem Gold. Die Kette mündete in einem kleinen Medaillon. Am Daumen trug er einen Siegelring mit dem brüllenden Löwenkopf und den Buchstaben AT.
Allein die Bewegung, mit der er das Glas an die Lippen führte und wie er einen Schluck daraus nahm, hatte etwas Sinnliches. Fließende Bewegungen, völlige Kontrolle über jeden einzelnen Muskel in seinem Körper. Dieser Mann war sich seiner Ausstrahlung bewusst und arbeitete hart an sich. Dennoch sprach nichts an ihm von Arroganz. Er schien nicht einmal besonderen Wert darauf zu legen oder gar Nutzen aus seinem Charisma zu ziehen. Es war einfach da.
Eine Wolke seines Rasierwassers wehte zu mir herüber. Moschus und Ambra mit einem Hauch Sandelholz. Ein leichtes Beben durchlief mich. Er hatte Glück, dass wir uns hier begegneten. Auf offener Straße, als Fremder, wäre er eine äußerst reizvolle Beute für mich gewesen. Ich war gefangen von seiner Erscheinung und seiner Ausstrahlung, vergaß alles andere, sogar Cyron und warum ich mit Franklin reden wollte. Dieser Mann nahm meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch.
Franklin bemerkte mich und stand auf. Damit war meine Gelegenheit dahin, mir heimlich ein genaueres Bild von dem Besucher zu machen, der nun den Kopf in meine Richtung drehte. Es brach den Bann, den er unwissentlich auf mich gelegt hatte. Ich lächelte und tat so, als sei ich gerade erst hereingekommen, was mir Franklin allerdings nicht abnahm. Er kannte seine Tochter. Und auch der unbekannte Gast schien seine Zweifel zu haben, wie lange ich schon in der Tür stand. Dennoch sagte keiner der beiden ein Wort. Ich ließ mich von Franklin umarmen und auf die Wange küssen.
„Melissa! Was machst du hier, ich dachte, du bist in Miami.“
Die Mischung aus Freude, Sorge und Befangenheit irritierte
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