Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)

einen Lycanerfürsten zu töten.
    Unsere Hauptprobleme waren also diese Festung in China, von der aus Domeniko die letzten verbliebenen Systeme kontrollierte, und die übermächtigen Gegner, die er befreit hatte.
    Franklin führte noch an, dass in den Straßen über kurz oder lang die Anarchie ausbrechen würde. Genau genommen war sie das schon. Plünderer zogen durch die Geschäfte. Ich fand es lächerlich, denn wer kaufte ein Elektrogerät auf dem Schwarzmarkt, wenn es keinen Strom gab? Wo war der Weitblick? In einer Mischung aus Panik und Habgier ertrunken. Lebensmittel waren schon in den ersten Tagen aus den Regalen geräumt worden. Jeder bunkerte, so viel er ergattern konnte. Auch dabei hatte es Tote gegeben, die nun ein gefundenes Fressen für Krähen, streunende Hunde und verwilderte Katzen waren. Die Lycaner zogen es vor, Frischfleisch zu erlegen. Und – wie mich Steven erinnerte – hatten gut gefüllte Vorratslager, dank der Lupins.
    „Könnt ihr versuchen, in China einen Weg an Fenris und der Midgard vorbei zu finden?“, fragte ich Blue.
    „Das wird schwierig und kann ne Weile dauern.“
    „Egal, wir müssen irgendwie da rein.“
    Ich wandte mich an Dusty. „Wenn sie einen Weg gefunden haben, gehst du mit rein. Du bist der Einzige, der die Codes von diesem Biff kennt, und wirst dich daher schneller in Domenikos System zurechtfinden. Schalte es aus. Aber achte darauf, dass dabei nicht die AKWs hochgehen.“
    „Nein!“ Sally sprang auf und fasste Dusty am Arm. „Ich lasse nicht zu, dass mein Bruder geopfert wird.“
    Ich konnte sie verstehen, auch wenn ich darauf keine Rücksicht nehmen durfte. Dusty nahm mir die Notwendigkeit ab, es ihr zu erklären.
    „Ist schon okay, Schwesterchen. Ich krieg das hin. Und Blue passt auf mich auf, wenn es so weit ist. Geht immerhin auch um unser Leben.“
    Er hatte Angst, das konnte er nicht verbergen. Trotzdem war er wild entschlossen. Das imponierte mir. So jung und so tough.
    „Es geht nicht darum, die Kontrolle zu übernehmen. Das Risiko ist mir zu groß, dass es ein Tauziehen wird, und er danach vielleicht nicht zögert, die Waffen einzusetzen, egal, welche Konsequenzen es hat. Sobald ihr da reinkommt, schaltet ihr alles aus. So gründlich, dass man es nicht mehr starten kann, okay?“
    Dusty nickte. Blue ebenfalls, doch er nahm mich ein Stück beiseite.
    „Du weißt, was das heißt, selbst wenn Domeniko am Ende verliert?“
    Das war mir bewusst. Dann musste die Menschheit ganz von vorn anfangen. Aber immer noch besser, als zu Asche zu verglühen oder im Bauch eines Dämonenwolfes zu landen.

Der Wahrheit dunkler Schatten
     
    I ch hatte mir nie die Frage gestellt, wie viele Lycaner es geben mochte. Ein Fehler.
    So langsam fragte ich mich, wie es möglich war, dass so viele Werwölfe und andere PSI-Wesen eine Ewigkeit unentdeckt unter den Menschen gelebt hatten. Hätte uns dieser Gedanken nicht schon vor Jahren kommen müssen, als wir die Öffnung von Darkworld verhinderten? Oder später, nachdem durch Kaliste und den Orden der Lux Sangui der Paranormale Untergrund aufgescheucht worden war? Vielleicht lag der Unterschied daran, dass nun Tür und Tor offen standen, um sich ungehindert bewegen zu können. Der Menschheit war ihr Schutzschild abhandengekommen. Keine Technik mehr, die verblendete. Alle Überheblichkeit, der Glaube, unantastbar zu sein, war dahin. Es dauerte bei Weitem nicht so lang, wie ich erwartet hätte, bis die Reste an Munition und Sprengstoff aufgebraucht waren. Teils, um sich einen Vorteil gegenüber seinen Mitmenschen zu sichern, teils zur Verteidigung gegen einen Feind, der bar jeder Vorstellungskraft war.
    Ich hätte viel darum gegeben, mich nicht tagsüber zurückziehen zu müssen. Ruhe fand ich in diesen Stunden nicht, so groß war die Sorge um meine menschlichen Freunde. Aber Gorlem Manor wurde nicht angegriffen. Im Gegenteil. Der Schrecken, der um sich griff ob der Tatsache, dass Geister, Gestaltwandler, Vampire und Dämonen nicht bloß Gruselgestalten und Hirngespinste, sondern verdammt real waren, schützte die Ordenshäuser der Ashera und anderer PSI-Orden. Man fürchtete die Leute, die sich seit Jahren mit diesen Wesen beschäftigten und die man bislang müde belächelt hatte. Und die PSI-Wesen bevorzugten leichte Beute, statt sich mit Solchen anzulegen, die ihnen gewachsen waren.
    Es schockierte mich noch immer, dass der Verlust von Strom und Technik einen so großen Einfluss nahm und das normale Leben derart aus dem