Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
habe. Aber das lässt sich ausgleichen.“
Stille.
Man hörte keine Zweige knacken, kein Knirschen von Schnee, nicht einmal ein verräterisches Atmen. Es sah aus, als wäre er allein, auch wenn ich es besser wusste.
„Ich geh da raus“, entschied ich.
„Einen Teufel wirst du“, widersprach Armand. „Darauf wartet er doch nur.“
Was sollten wir sonst tun? Warten, bis er den ersten Gefangenen fallen ließ? Beim Gedanken, dass es Franklin sein könnte, drehte sich mir alles. Ich war auch nicht bereit, Ash sterben zu lassen, und Dusty brauchten wir.
„Er will mich. Vielleicht verschafft uns das Zeit. Während ich ihn ablenke, müsst ihr versuchen, die drei zu befreien.“
Unbemerkt an sie heranzukommen war nicht das Problem, wenn wir hoch genug in den Himmel aufstiegen und zu ihnen hinüberschwebten. Im Sommer hätte uns das dichte Blätterwerk der Bäume genug Tarnung verschafft, doch jetzt reckten sich die Äste nackt und kahl zum Sternenzelt empor. In dem Moment, wo einer von uns in einer Baumkrone landete, würde er sofort entdeckt. Trotzdem war es unsere einzige Chance. Vom Torbogen aus verfügte Domeniko über freie Sicht zu den Geiseln. Also galt es für mich, ihn dazu zu bringen, sie aus den Augen zu lassen.
„Ich will nicht, dass du gehst.“ Armand sah mich eindringlich an.
„Und ich will nicht gehen. Aber leider ist meine Position in diesem Spiel nicht austauschbar, das weißt du.“
„Ich bleib in deiner Nähe“, erklärte Dracon.
Im ersten Moment wollte ich seiner Überheblichkeit einen Dämpfer verpassen, bis ich erkannte, dass es keine war. Er sah Armand an und nickte ihm zu, was wohl heißen sollte, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Zu meiner Überraschung erwiderte Armand das Nicken.
„Ich bin es gewohnt, unsichtbar zu werden“, ergänzte Dracon grinsend. „Jahrelange Übung. Grade du weißt ja, wie gut ich darin bin.“
Im Grunde erleichterte mich das Wissen, Domeniko nicht schutzlos gegenüberzustehen. Ich gab Dracon einen kleinen Vorsprung. Durch unser inneres Band, das er nun nicht mehr verbarg, wusste ich genau, wo er war. Er platzierte sich auf der Spitze der Ruine und gewann einen generellen Überblick über die Szenerie.
„Zwanzig Meter in den Wald hinein. Etwa ein Dutzend Lycaner.“
Ich gab die Information an die anderen weiter, straffte mich und trat zwischen den Bäumen hervor, sodass Domeniko mich sehen konnte. Sein boshaftes Grinsen bei meinem Anblick ließ mich zittern.
„Wir haben beide wohl genug Bauern und Springer auf dem Platz.“
Er sollte nicht auf die Idee kommen, mich täuschen zu können. „Aber meine halten sich raus. Was ist mit deinen?“
Er senkte langsam den Kopf. „Werden ebenfalls nur auf Befehl eingreifen.“
„Mit dem du beweisen würdest, dass du tatsächlich ein Feigling bist.“ Leichtsinnig, ihn in dieser Situation zu reizen, aber Wut würde seine Aufmerksamkeit bei mir halten. Unauffällig beschritt ich einen Halbkreis um den Torbogen, weg von den Geiseln.
„Nenn mich nie wieder einen Feigling!“, zischte er.
„Wie würdest du jemanden nennen, der sich hinter anderen versteckt statt Manns genug zu sein, seine Kämpfe selbst auszutragen? Mit jedem Tag gewinnt Eloin an Zuspruch aus den eigenen Reihen. Du beweist selbst, dass er unantastbar ist – auch für dich. Sonst hättest du es längst versucht.“
„Eloin ist ein Schwächling, der es nicht wert ist, dass ich ihm Beachtung schenke.“
Ich hatte ihn richtig wütend gemacht. Stolz war immer gefährlich. „Ein Schwächling, der als Fürst regiert“, stichelte ich weiter und erreichte immerhin, dass er seinen Posten verließ. Mit drohend gesträubtem Nackenfell, den Bizeps angespannt wie ein Bodybuilder kam er auf mich zu. Das sollte mir wohl Angst machen. Hier ging es aber um Menschen, die mir etwas bedeuteten, da überwog mein Beschützerinstinkt.
Ich bereitete meine Muskeln darauf vor, gleich einen Angriff abwenden zu müssen, beugte leicht die Knie, öffnete und schloss meine Finger. In gleichmäßigem Takt pumpte das Adrenalin durch meinen Körper, belebte jede Zelle und schärfte meine Sinne. Ich ließ Domeniko nicht aus den Augen, unterband die Versuchung, einen Blick zu riskieren, wie weit Armand und die anderen mit der Befreiung der Geiseln waren. Domeniko fletschte die Zähne und knurrte. Ich bleckte meine Fänge und fauchte wie eine gereizte Katze. Osira kauerte sich neben mir in den Schnee, unsichtbar für Domeniko. Eine nette kleine Überraschung,
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