Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
mir um. „Verrätst du mir trotzdem, was du tun würdest? Was du dir wünschen würdest, wenn es in deiner Macht stünde?“
Ich konnte nicht verhindern, dass ich darüber nachdachte. Für den Bruchteil einer Sekunde. Hätte ich den Mut dazu? Wenn Margret Crest sterben würde, bevor sie meine Mutter verbrannte, was würde das ändern? Wie würde mein Leben dann verlaufen? Und meine Liebe zu Armand? Oder Kaliste? Sie durfte natürlich nicht zu früh sterben, aber lange, bevor sie ihre Intrigen vorbereiten konnte. Ohne Domeniko würde es nicht zu einem Erbfolgekrieg bei den Lycanern kommen. Und wenn das Magister zerschlagen wurde, ehe es richtig zum Leben erwachte? Würde dann selbst mein Großvater einen anderen Weg nehmen und nicht über Leichen gehen für ein System, das ihn im selben Moment vergaß, in dem er aus dem Leben schied?
Doch solche Eingriffe in die Zeitlinie wären immens, die Folgen nicht absehbar. Ich schluckte, sah Blue flehend an und schloss schließlich die Augen. Eine einzelne Träne stahl sich über meine Wange, sie war schwarz wie die Feder eines Raben. Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz. Ein schönes Schneewittchen war ich geworden. Nur dass es bei mir nicht das Haar, sondern das Herz war, das die Farbe der Nacht angenommen hatte.
„Ich fürchte, für solch eine Wahl fehlt mir der Mut, Blue. Trotzdem danke.“
Als ich die Augen wieder öffnete, war er fort. Vielleicht hatte ich ihn beleidigt. Es spielte keine Rolle.
Mein Körper fühlte sich leer und bleischwer an. Die Kälte lähmte mich wie nie zuvor. Jetzt, wo ich allein zurückblieb. Verlassen und verloren all jene, für die mein Herz einst schlug. Ich legte mich auf den Diwan aus Eis, sah noch einmal Kaliste vor mir, wie sie gesäumt von ihren Ghanagouls hier Audienz gehalten hatte. Die Müdigkeit drückte meine Lider nieder. Schlafen, ewig schlafen. Nie mehr erwachen. Meine Aufgabe war erfüllt, mein Werk getan, die Zeit gekommen. Mein Herz sollte Frieden finden, wenn nicht im Tod, so doch im Schlaf. Auf dass nie wieder einer komme, der mich erweckte. Ich schmiegte meine Wange an den harten Leib meines Gefährten, der mich nicht mehr umarmen konnte. Mein letzter bewusster Gedanke war das Versiegeln des Eingangs mit einer dicken Eisschicht, die in tausend Jahren niemand zerstören könnte. Kein Vampir und kein Mensch. Das einsame Schneewittchen in einem gläsernen Sarg aus Eis, das Abschied nahm und die Welt ihrem Kreislauf überließ. Für immer.
Epilog
I m Sommer 1997 kehrte ich – Melissa Rowena Ravenwood – nach nur acht Semestern mit einem Examen in Historie und Archäologie von der Uni in Glasgow zurück. Mein magisches Tor hatte sich in den letzten Wochen meiner Abschlussprüfungen geöffnet. Ich war Opfer einer regelrechten Belagerung durch Geister geworden – ägyptische Geister aller Klassen und Abstammungen. Der Zusammenhang lag wohl an meiner inneren Zuneigung zu dem Land der Pharaonen, schließlich hatte ich gerade deshalb Archäologie studiert und mich bereits während der letzten sechs Monate um eine Assistenzstelle bei einigen Ausgrabungsexpeditionen beworben. Leider wurde mir bislang stets freundlich abgesagt und darum gebeten, ich möge es nach bestandenem Examen erneut versuchen.
Die Geister kümmerte es wenig, ob ich eine bestandene Prüfung hatte oder nicht. Sie erhofften sich von einer Hexe, die mit ihren Riten und ihrer Geschichte vertraut war und zudem noch über starke paranormale Kräfte verfügte, Hilfe bei der Lösung all ihrer Tausende von Jahren alten Probleme. Nur mit Mühe gelang es mir schließlich, diese Plagegeister loszuwerden, meinen Geist vor ihnen zu verschließen und mein Examen trotz der Heimsuchungen zu bestehen.
Auf dem Weg von der Uni zurück nach Hause war ich voller Hoffnung, nach dem Bestehen der Abschlussprüfungen bald nach Ägypten gehen zu können. Der einzige Wermutstropfen wäre die Trennung von meinem Zuhause für mindestens ein weiteres Jahr. Doch so ein Jahr ging schnell vorbei und mein Forscherherz sehnte sich nach Abenteuer.
Diese Pläne verschwieg ich bei der Begrüßung allerdings noch, denn ich wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Außerdem war ich müde und scheute die Auseinandersetzung, die womöglich folgen würde, weil meine Wünsche nicht auf uneingeschränkte Zustimmung stießen. Deshalb schob ich die Konfrontation wegen meiner Zukunftspläne zunächst vor mir her.
Als ich mich am Abend meiner Rückkehr müde in mein
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