Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
Sorgen um sie machte. Sie würde eine gute Leitwölfin werden, wenn ihre Zeit kam.
Am Eingangstor des Woodlawn Park Cemetery stockte Aliya. Sie kannte diesen Ort ihr Leben lang und spürte jede Veränderung sofort. Genau wie in der Nacht, als der Gestaltwandler sie verletzt hatte, auch wenn sie zunächst von einem geplanten Satansritual ausgegangen war. So was kam häufiger vor, denn schwarze Gurus sprossen zurzeit wie Pilze aus dem Boden, seit die Gothic-Szene wieder mehr in Mode kam. Nicht neu, nicht ungewohnt. In den achtziger Jahren gab es das schon einmal, nur unter anderem Namen. Wie hätte Aliya wissen sollen, dass diese Gruppe gezielt nach ihr suchte?
Umso vorsichtiger ging sie heute vor, denn ihr stieg eine Witterung in die Nase, die nicht zu den üblichen des Woodlawn gehörte. Sie winselte leise, lief vor dem Gitter hin und her, unschlüssig, ob sie ihr Zuhause betreten sollte oder nicht. Aber ihr knurrte der Magen, und sie sehnte sich danach, von vertrauten Gerüchen umgeben einzuschlafen.
Unsicher leckte sie sich das Maul, schlich geduckt ein paar Schritte auf das Friedhofsgelände. Nichts geschah. Keine Schatten, die sich von irgendwoher näherten. Kein Raunen in der Luft, oder Geräusche, die ihr seltsam vorkamen. Vielleicht rührte der Duft, der sie beunruhigte, auch nur von einem frischen Grab. In der Deckung von Grabsteinen, beinah am Boden kauernd, näherte sich Aliya dem alten Mausoleum, das ihr als Schlafplatz diente. Sie schnüffelte an dem Loch, das sie auf der Rückseite gegraben hatte. Nichts Verdächtiges.
Ihre Wunde schmerzte, als sie sich durch den schmalen Spalt zwängte. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie wieder vollkommen gesund war. Aber entgegen Stevens Befürchtung drang kein Blut mehr an den Rändern hervor.
Sie war so auf ihre Seite konzentriert und darauf, nicht versehentlich irgendwo hängen zu bleiben, dass sie zu spät bemerkte, dass innerhalb des Mausoleums nicht alles war wie sonst. Als ihr der beißende Gestank in die Nase drang, war es zu spät. Ein Tuch wurde auf ihre Schnauze gepresst und eine Hand packte sie grob im Nacken. Sie versuchte, den Kopf zu drehen und nach dem Angreifer zu schnappen, doch da drehte sich die Welt und wurde von einer Sekunde zur anderen dunkel und still.
Als Aliya zu sich kam, erfüllte ein Dröhnen ihre Ohren. Wie von Donner, der aber nicht kam und ging, sondern fortdauerte. Sie lag in einer Kiste mit Gitterstäben. Fremde Gerüche drangen an ihre Nase, im Vordergrund der Gestank von Treibstoff, der sie würgen ließ. Sie war zwar noch nie geflogen, begriff aber, dass sie sich in einem Flugzeug befand. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Wohin brachte man sie? Und was erwartete sie dort?
Sie kämpfte sich auf die Beine, blieb wackelig stehen. Sie zitterte und fror. Hunger hatte sie immer noch, aber in ihrem Gefängnis gab es weder Wasser noch etwas Essbares. Angst legte sich wie eine eiserne Klammer um ihr Herz, als ihr klar wurde, dass sie weit weg von zu Hause war. Ihre Heimat vielleicht nie wiedersehen würde. In ihrer Einsamkeit stimmte sie ein Klagelied an. Auch wenn sie keine Antwort erwartete, spendete es dennoch Trost. Zu ihrer Überraschung fiel jemand in ihr Heulen ein. Aliya stockte. Sie war nicht allein.
Aufgeregt versuchte sie, aus ihrer Kiste in die Umgebung zu spähen. Ihr Fell sträubte sich vor Anspannung. Sie presste sich gegen das kalte Metall, verdrehte den Kopf, bis ihr Nacken schmerzte, erhaschte zum Lohn einen kurzen Blick auf dunkles Fell, das aus einer ähnlichen Kiste wie der ihren auf der anderen Seite des Laderaumes ragte.
„Wer bist du?“, fragte Aliya. Vielleicht nur ein Hund, vielleicht aber auch …
„Surevi“, kam es schwach. Aliyas Herz machte einen Sprung. Wenigstens war da tatsächlich noch jemand. Eine weitere Leitwölfin. Das gab ihr neue Hoffnung, machte sie aber zugleich betroffen, weil es sich mit Stevens Befürchtungen deckte.
„Woher kommst du, Surevi? Und weißt du, wohin sie uns bringen?“
Die Geräusche ließen erahnen, dass die andere Lupin sich erhob und gleich darauf leuchteten ihre Augen in der Dämmerung. „Ich komme aus Mexiko. Sie haben mich vor fast einem Monat gefangen und seitdem mit dem Auto, dem Zug und nun sogar mit dem Flugzeug durch die halbe Welt transportiert. Ich weiß weder, wer die sind noch wohin sie mit uns wollen. Aber ich weiß, dass sie auch die anderen Leitwölfinnen haben. Sie haben darüber geredet.“
Aliya spürte, wie die Kraft sie verließ,
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