Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
wirkten fast weiß im Jagdfieber, schimmerten wie Nebel. Das Zusammenspiel mit dem Blut, das ihm von Kinn und Lippen tropfte, machte den Anblick beängstigend.
Schon griff er sich den nächsten Gegner und bewahrte Anelu davor, hinterrücks von einer Klinge durchbohrt zu werden, während er einen weiteren Angreifer von Corelus fernhielt. Osira und Welodan mischten kräftig mit, sie attackierten jeden Gast, der sich entschloss, auf Domenikos Seite zu wechseln. Unter den Anwesenden entstand ein wirres Durcheinander, weil sich die Menge in zwei Lager teilte, die ebenfalls gegeneinander fochten. Schreie, Knurren, Wut und Blutgeruch lagen gleich einem erstickenden Teppich über dem Raum, der einem die Sinne betäubte. Ich ließ mich nicht ablenken. Alles, was mich interessierte, war Eloins Sicherheit. Dafür war ich verantwortlich. Ich schob ihn hinter den Thron, erahnte den Gegner, der sich uns von hinten näherte, bevor ich ihn sah. Im Herumdrehen griff ich in meine Haare und zog die hauchfeine Klinge hervor. Der Schnitt erfolgte in einer fließenden Bewegung, ohne, dass ich hätte nachdenken oder gar zielen müssen. Ein Lycaner-Kopf glitt in Zeitlupe von den Schultern herunter, der Torso zuckte und sank zu Boden.
Ich achtete nicht auf einen Feind, der keinen Schaden mehr anrichten konnte, sondern visierte Domeniko an. In seiner Hand blitzte es silbern auf. Der Warnschrei kam zu spät über meine Lippen. Als die Klinge in Corelus Rücken stieß, war ich zu weit entfernt, um es aufzuhalten, und Anelu, der bis dahin seinen Ziehvater geschützt hatte, wurde von zwei anderen Lycanern bedrängt. Meine Worte in Franklins Arbeitszimmer kamen mir in den Sinn und Schuldgefühle schwappten über mich hinweg. So wörtlich hatte ich das nicht gemeint.
Mit einem Schrei rannte ich auf Domeniko zu, der den Dolch aus der Wunde zog und zum zweiten Stich ansetzte. Dieser traf sein Ziel nicht mehr. Meine Waffe war schneller und schlitzte dem schwarzen Lycanthropen den Unterarm vom Handgelenk bis zum Ellbogen auf. Domeniko keuchte, ließ das Mordinstrument fallen und setzte seine natürlichen Waffen gegen mich ein. Seine schnappenden Zähne verfehlten meinen Hals um Haaresbreite. Geifer spritzte mir ins Gesicht. Ich wich seiner nächsten Attacke aus, griff ihn von der Seite an, er aber drehte sich um und flüchtete mit einem gewaltigen Satz Richtung Ausgang. Dicht gefolgt von den wenigen seiner Leute, die nicht Armand, Anelu oder einem unserer Totemtiere zum Opfer gefallen waren.
Das alles hatte nur Sekunden gedauert, hinterließ jedoch ein Chaos, in dem der wahre Schrecken beinah unterging: Corelus lag im Sterben.
Anelu kniete neben ihm und hatte Corelus’ Oberkörper auf seinen Schoß gezogen. Ihm liefen unaufhörlich Tränen übers Gesicht. Auch Eloin kam wieder hinter dem Thron hervor. Ich sah ihm an, dass er sich wie ein Feigling fühlte. Vor Scham wagte er niemanden aus den Reihen der Gäste, die auf seiner – oder vielmehr Corelus’ – Seite gestanden hatten, anzusehen. Ich hörte gezischte Beschimpfungen und Hohn. Und dazwischen immer wieder Anelus’ Namen als einen würdigeren Nachfolger, der sich nicht versteckte.
Domeniko hatte Eloin zwar nicht töten können, ihm aber schwer geschadet, indem er ihn in eine solche Situation brachte. Und ich hatte ihm unbewusst sogar noch geholfen. Ich wusste nicht, was schlimmer war.
Armand bewachte die Tür, damit der Überraschungsbesuch sich nicht wiederholte. Ich hingegen kümmerte mich um Corelus und seine beiden Auserwählten.
„Das … das Buch“, wisperte er. Seine Stimme hatte kaum noch Kraft. „Anelu. D … B … uch. W … wachs.“ Er hob seinen Ring, blickte mich flehend an.
„Wir müssen es zu Ende bringen“, sagte ich fest, obwohl auch mir ein Kloß die Kehle zuschnürte. „Sonst war alles umsonst.“
Corelus nickte und lächelte dankbar. Die Blutlache unter ihm wurde rasch größer. Das Leben floss buchstäblich aus ihm heraus. Ihm blieben bestenfalls Minuten, wir durften keine Zeit vergeuden, sonst war Eloin trotz der vorangegangenen Zeremonie kein Fürst. Dann würde ihm von denen hier keiner folgen, wenn Domeniko ihn herausforderte.
Eloin sah mich entgeistert an. „Das kann ich nicht. Das wäre respektlos.“
„Respektlos wäre es, wenn du seinen Willen jetzt ignorierst.“ Meine Miene war unerbittlich. Ich hielt ihm den Federhalter hin, bis er ihn schließlich ergriff. Anelus riss sich zusammen und erwärmte das Wachs an einer Flamme, während Eloin
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