Ruf des Blutes 6 - Wolfspakt (German Edition)
sagte. Dieses Bauchgefühl, was ihn bei der Begegnung überkommen hatte, gründete nicht nur auf Erinnerungen an die Namib. Da war de facto noch etwas anderes, er konnte es bloß nicht greifen. Irgendwas stimmte nicht.
„Hey, wollen wir uns einen schönen Abend machen, oder willst du weiter über Rourke grübeln? Glaub mir, er hat einen astreinen Leumund, sonst wäre er nicht schon so lange bei uns. Du weißt, wie genau jeder überprüft wird.“
In der Tat, das wusste er. Und trotzdem war seine gefälschte Identität geschluckt worden. Warum nicht auch die von jemand anderem? Schläfer konnten oft jahrelang ruhig bleiben, bis sie von jemandem aktiviert wurden. Nach dem Vorfall vor ein paar Tagen war Ben noch misstrauischer geworden. Da passte so eine unverhoffte Begegnung im Serverraum nicht in die Norm. Trotzdem wollte er sich genauso wenig wie Sally den Abend verderben lassen, also rang er seine Unruhe nieder und genoss lieber das gute Essen und die Vorfreude, später mit ihr allein zu sein.
Sally besaß ein Talent, ihn schnell auf andere Gedanken zu bringen. Ihr Lachen wärmte ihm das Herz, und wenn er in ihre braunen Augen blickte, fühlte er Ruhe in sich aufsteigen. Jede düstere Erinnerung war dann weit weg. Auch heute Abend dauerte es keine halbe Stunde, bis sie in ein angeregtes Gespräch über mögliche Urlaubsziele verstrickt waren, bei dem sie wieder einmal merkten, wie ähnlich sie sich waren. Ihnen lagen Abenteuerurlaube in der Wildnis mehr als Sonnenbaden am Strand. Nur die Beweggründe waren unterschiedlich.
„Lebst du eigentlich immer schon in Miami?“, wollte Sally plötzlich wissen.
Ben biss sich auf die Lippen. Was sollte er antworten? Er versuchte fieberhaft, sich zu erinnern, was Pettra in sein Profil geschrieben hatte, aber es wollte ihm nicht einfallen. „Ich … also …“ Himmel, wenn er weiter so stotterte, wurde sie bestimmt misstrauisch. Dafür war ihr der Job zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen.
„Ich meine, seit du aus Liverpool weg bist. Das wäre zumindest eine Erklärung, warum du den Strand so satthast.“
Sie lachte und die Anspannung fiel von ihm ab wie eine zu enge Haut. Liverpool. Wie konnte er das nur vergessen. Pettra hatte es wegen seiner Vorliebe für die Beatles ausgewählt. „Mein Job hat mich an verschiedene Orte der Welt geführt, aber die letzten Jahre habe ich ausschließlich in Miami verbracht. Das hat aber mit meiner Abneigung gegen faules Sonnenbaden nichts zu tun. Ich war selten am Strand. Zu viel zu tun.“
Das war noch mal gut gegangen. Ben verwarf den Gedanken an eine gemeinsame Nacht. Es war zu riskant und er konnte es sich nicht leisten, auch nur den Hauch eines Zweifels über seine Identität zu schüren.
Die Stimmung schlug um. Ben wurde unsicher und wortkarg, auch wenn es ihn quälte, dass Sally sich vielleicht verletzt fühlte. Nachdem sie ausgetrunken hatte, bat er sie, ihn zurück zum Weißen Haus zu bringen. Während der Fahrt schwiegen sie.
Sally fuhr mit dem Wagen bis zu seinem Quartier und hielt wortlos. Sie sah stur geradeaus, und Ben sah ihr an, dass sie die unerwartete Wendung des Dates schmerzte. Unschlüssig blieb er im Auto sitzen, überlegte, was er ihr sagen konnte, damit der Abend nicht so kalt endete. Aber ihm fiel nichts ein, darum wollte er schließlich aussteigen.
„Ben, warte“, bat Sally.
Ihm rann ein Schauder über den Rücken.
„Willst du … willst du mich nicht mit hineinbitten?“
Der zaghafte Ton in ihrer Stimme besaß so viel Liebreiz, dass er sie spontan in die Arme nehmen und küssen wollte. Er musste sich zur Ordnung rufen, um das zu verhindern.
„Ich glaube, das wäre keine gute Idee.“ Er konnte ihr nicht in die Augen sehen, hörte aber, wie sie schluckte.
„Ich weiß, dass du ein Geheimnis hast“, sagte sie geradeheraus.
Ben spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde, und war dankbar, zu sitzen, sonst wäre er bestimmt zusammengesackt. Sein Gesicht prickelte, er öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton hervor. Was kam jetzt? Was hatte sie herausgefunden?
Sally biss sich auf die Lippen, so hinreißend, dass es ihm einem Stich versetzte, er die Hand ausstreckte, sie aber wieder sinken ließ. Während Sally nach den richtigen Worten suchte, senkte sie verlegen den Blick. Ihre Wangen glühten.
„Ich … es tut mir leid. Eigentlich hätte ich das gar nicht tun dürfen, aber … ich mag dich, Ben. Ich wollte … nur mehr über dich erfahren. Du sprichst so wenig von
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