Ruf Des Dschungels
mich finden konnte. Nach zwei Mordanschlägen auf mich im Gefängnis erkannte ich, dass ich, wenn ich leben wollte, wenn ich meinen Kampf für die Unabhängigkeit meines Landes weiterführen wollte, fliehen musste. Es gelang, ich floh in die Nacht hinaus und wanderte wochenlang durch den Dschungel, zurück nach Papua-Neuguinea.
Mit Hilfe meiner Freunde im Ausland erhielt ich Asyl in Großbritannien. Von Port Moresby aus flog ich über Singapur nach London. In Singapur hatte ich sieben Stunden Aufenthalt. Nachdem ich mich jahrelang versteckt hatte, ängstigte ich mich fast zu Tode angesichts der vielen Leute aus Singapur um mich herum, denn sie sahen alle aus wie Indonesier. Die vollen sieben Stunden lang wagte ich es nicht, mich zu rühren. Ich saß auf einem Stuhl und starrte die ganze Zeit über zu Boden, aus Angst, jemand könnte mich erkennen und zurückschicken.
Und in London dann durfte ich endlich durch die Tür ins Freie treten. Draußen traf mich ein Wind so kalt, wie ich ihn noch nie gespürt hatte, denn es war Dezember, und da ich gerade aus den Tropen kam, trug ich nur ein kurzärmeliges T-Shirt. Ich blickte auf und bemerkte zu meinem Entsetzen ein großes Schild mit meinem Namen darauf: Benny Wenda. Da brach ich zusammen, schlicht und einfach in Todesangst.
Im Nachhinein ist es leicht zu erklären: Ich bin unter einem tyrannischen Regime aufgewachsen und hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlt, in Freiheit zu leben; aussprechen zu können, woran ich glaube; über die Straße zu gehen, ohne Angst zu haben, verhaftet oder ermordet zu werden; aus dem Haus zu treten, ohne mich zu fragen, ob sie mir hinter der nächsten Ecke auflauern. Und nun, in aller Öffentlichkeit, wo es jeder sehen konnte, war da ein großes Schild mit meinem Namen darauf.
Meine Freunde eilten zu mir, umarmten mich und sagten mir, ich brauchte keine Angst mehr zu haben, ich sei in Sicherheit. Das war 2003 . Bald darauf kam meine Frau nach, und gemeinsam haben wir uns ein neues Leben aufgebaut, weit weg von unserer Heimat. Doch wir fühlen uns für immer unseren Brüdern und Schwestern in West-Papua zugehörig, unsere Herzen schlagen für jene, die noch immer in Angst und Schrecken leben. Bis heute setzen wir unseren Kampf fort, gemeinsam mit unserem Volk, damit wir eines Tages wieder den Morgenstern über einem Land wehen sehen, das uns vor vierzig Jahren geraubt wurde.
Zum Abschluss, Schwester, möchte ich noch eine Erklärung abgeben, die die ganze Welt hören soll, einen Appell an mein Volk und meine Heimat:
Ich, Benny Wenda aus West-Papua, stehe hier, damit mein Volk die Unabhängigkeit von Indonesien erlangt.
Ich appelliere an die internationale Staatengemeinschaft, dass sie die Stimme meines Volkes hört, dass man uns Gelegenheit gibt, unser Recht auf Selbstbestimmung wahrzunehmen. Und ich stehe hier nicht nur für politische Unabhängigkeit, sondern auch für die Umwelt, die Ressourcen und die Natur West-Papuas. Ich habe den Status eines politischen Flüchtlings in Großbritannien, doch im Herzen bin ich bei meinem Volk. Meine Seele schreit auf angesichts des Unrechts, das sich bis heute fortsetzt.
Unsere Schreie sind bisher ungehört verhallt, unser Flehen ist unbemerkt geblieben. Hiermit bitten wir all jene, die an das Recht auf Gerechtigkeit, Frieden und den Schutz der Natur glauben, aufzustehen und die Generalversammlung der Vereinten Nationen aufzufordern, die angeblich freien Wahlen in meinem Land kritisch zu überprüfen. Denn ich bezeichne sie nicht umsonst als ›The Act of NO Choice‹.«
Benny Wenda, 4 . Juli 2006
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22 Ein neuer Anfang
I ch habe heute einen Termin bei meinem Buchverlag. Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint, der Himmel ist von tiefem Blau überzogen, und die Luft fühlt sich frisch an.
Während ich die Straße entlang zum Verlag gehe, fange ich an, über vieles nachzudenken. Mein erstes Buch,
Dschungelkind,
hat sich gut verkauft, und es wird bald in über einundzwanzig Ländern der Erde erhältlich sein. Doch trotz des Erfolges fühle ich mich irgendwie leer.
Ich bin am Eingang angekommen. Mit gemischten Gefühlen schaue ich hinauf zu den vielen Fenstern, die sich um das Gebäude ziehen.
Ich ahne, weshalb man mich zu diesem Treffen gebeten hat: Sie werden wissen wollen, ob ich ein weiteres Buch schreibe.
Monatelang habe ich mich gegen diesen Gedanken gewehrt. Was soll ich denn schon erzählen? Wie es mir bei meiner Rückkehr zu den Fayu ergangen ist? Wie ich Tuare
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