Ruf Des Dschungels
Einheimischer aus Papua-Neuguinea, der seit Jahren seine Brüder in West-Papua im Kampf um ihre Freiheit unterstützte. Ich musste lächeln, als ich ihn dabei beobachtete, wie er restliches Wasser durch die Ritzen zwischen den Brettern goss und sich vorher bei den Geistern entschuldigte. Er hatte mir erklärt, dass er dies immer täte, denn er wolle die Geister nicht beleidigen, sollte er aus Versehen einen von ihnen mit dem Wasser treffen. Sie seien überall, sagte er mir. Besonders nachts kämen sie heraus und wanderten über das Land, um nach dem Rechten zu sehen.
Ich blickte hinauf zu dem aus Palmblättern geflochtenen Dach und beobachtete, wie die Kerosinlampe gespensterhafte Schatten auf das Geflecht warf. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit ich Deutschland verlassen hatte, um mich auf die Suche zu machen – auf die Suche nach den vergessenen Flüchtlingen aus West-Papua. Immer wieder gingen mir die gleichen Fragen durch den Kopf: Um wie viele Flüchtlinge mochte es sich handeln, warum und wann waren sie wohl geflohen, und wie konnten sie als unfreiwillig Gefangene zwischen zwei Fronten überleben, ohne Hoffnung auf eine menschenwürdige Zukunft?
Ende Dezember 2006 hatte ich von Steffen, einem Freund, der seit längerem die Freiheitsbewegung von West-Papua unterstützt, einen Anruf erhalten. Er erzählte mir, dass er eine E-Mail bekommen habe mit der dringenden Bitte um Hilfe für einige Studenten aus Papua, die im April 2006 an einer Demonstration in Abepura, West-Papua, teilgenommen hatten und jetzt vom indonesischen Militär verfolgt wurden. Einige von ihnen waren im Gefängnis gelandet, andere bereits ermordet worden, und der Rest hielt sich in Papua-Neuguinea im Urwald versteckt. Sie hatten schreckliche Angst, aufgegriffen zu werden, und bangten um ihr Leben. Steffen erklärte mir, dass sie dringend Lebensmittel, Medikamente und vor allem finanzielle Unterstützung bräuchten, um woandershin fliehen zu können, denn die Überlebenschancen im Urwald waren gering, wenn nicht gleich null.
Spontan entschied ich mich, eine Reise nach Papua-Neuguinea zu unternehmen, um ihnen zu helfen. Doch es gab noch einen allgemeineren Grund, warum ich diese nicht ungefährliche Reise machen wollte: Schon vor längerem hatte ich Informationen über Flüchtlinge aus West-Papua erhalten, die über die Grenze nach Papua-Neuguinea geflohen waren. Doch die Berichte waren zum großen Teil sehr ungenau, insbesondere in der Frage, wie viele Flüchtlinge es eigentlich gab und wie es ihnen nach der Flucht erging.
Es hatte in den letzten Jahrzehnten drei größere Flüchtlingswellen gegeben, eine Ende der 60 er Jahre, eine zweite 1984 und eine dritte im Jahr 2000 . Grund waren immer die massiven indonesischen Militäroperationen im Hochland von West-Papua gewesen, mit Flächenbombardements und Massakern an der Zivilbevölkerung. Tausende waren aus West-Papua geflüchtet, doch nach indonesischen Regierungsberichten waren angeblich viele zurückgekehrt. Ob dies stimmte und – falls ja – wie sie nach ihrer Rückkehr zurechtkamen, konnte ich zum damaligen Zeitpunkt nicht herausfinden. Deshalb entschied ich mich, aktiv zu werden und die Situation mit eigenen Augen zu betrachten.
Ich fragte Steffen, ob er mitkommen würde; seine Beziehungen und Erfahrungen auf diesem Gebiet waren unerlässlich. Darüber hinaus ist Steffen Kameramann, was mir sehr dabei helfen konnte, meine Reise zu dokumentieren. Kurz darauf begannen wir unter äußerster Geheimhaltung mit den Reisevorbereitungen. Es hätte für uns und die Flüchtlinge in einer Katastrophe enden können, wenn unser Plan vorher bekannt geworden wäre.
Es war Anfang Februar 2007 , als wir uns auf den Weg zum anderen Ende der Welt machten, zu jener Insel, an der mein Herz so sehr hängt.
Bei der Ankunft in Port Moresby, der Hauptstadt von Papua-Neuguinea, erwartete uns ein grandioser Anblick. Da gerade Regenzeit war, blühte und glänzte alles in einer Vielzahl von Farben, und der typische Geruch der Tropen lag in der Luft. Am Flughafen wurden wir von einem einheimischen Mann namens Toni [7] abgeholt, der uns auf unserer Reise führen sollte. Barfuß und mit langen, geflochtenen Haaren begrüßte er uns. Er war eine ungewöhnliche Figur, ein Genie in allen Fragen der Logistik, und er sollte uns später auf der Reise noch sehr ans Herz wachsen. Nachts im Bett sehe ich sein strahlendes Gesicht heute noch vor mir und sehne mich nach den Legenden, die er uns so
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