Ruf Des Dschungels
abgegangen, meinte Mita: Wenigstens hatten sie die Hütten nicht niedergebrannt.
»Wir leben in ständiger Angst. Wir wissen nie, wann der nächste Angriff kommt, doch das ist nicht unser einziges Problem. Wir haben nur ein kleines Stück Land von einem Mann aus Papua-Neuguinea zugeteilt bekommen, dem die Gegend hier gehört. Am Anfang war es auch genug, doch über die Jahre wurde die Erde immer schlechter und die Ernte immer dürftiger. Wir müssen uns ja nicht nur selbst ernähren, sondern auch genug ernten, um einen Teil der Erträge auf dem Markt zu verkaufen. Wir brauchen das Geld für Medikamente, besonders gegen Malaria. Es fehlt uns an allem, und jedes Jahr haben wir weniger zu verkaufen. Zusätzlich kommt manchmal noch der Grundbesitzer zu uns und verlangt Geld dafür, dass wir hier leben. Dadurch haben wir oftmals monatelang kein Geld für uns oder die Kinder übrig. Doch was können wir tun? Wir leben in ständiger Angst vor Angriffen. Es lohnt sich nicht, richtige Hütten für unsere Familien zu bauen, denn sie werden immer wieder von indonesischen Soldaten zerstört oder verbrannt. Wir sind Indonesien ein Dorn im Auge, denn Flüchtlinge bedeuten, dass es entgegen ihren Aussagen Menschenrechtsverletzungen gibt. Wir sind hier Gefangene und können nirgendwo anders hin, da wir bei der Regierung von Papua-Neuguinea keinen Status als Flüchtlinge haben. Wir werden also als illegale Einwanderer angesehen. Zurück können wir aber auch nicht. Unsere Kinder bekommen keine Schulausbildung und haben dadurch keine Chancen auf eine bessere Zukunft. Jeden Tag beten und warten wir, dass unser Land West-Papua unabhängig von Indonesien wird und wir zurück in unsere Dörfer können. Wir brauchen dringend Hilfe, denn wie lange wir noch überleben können, wissen wir nicht.«
Ich nahm sie in die Arme, und gemeinsam weinten wir. Ich fühlte mich so hilflos in dem Moment, so schrecklich traurig. Sie war eine wunderschöne Frau, eine starke Frau, eine Frau, die um ihr Überleben kämpfte. Ich bewunderte ihre Stärke und fühlte mich so klein neben ihr.
Es war dunkel, als wir uns endlich wieder in der Hütte versammelten. Die Stimmung war fröhlich, und es gab ein Essen mit traditionell im Erdofen gebackenen Süßkartoffeln und anderen guten Dingen.
Steffen und ich waren von unserer Reise müde. Doch für die Papua hatte die Nacht gerade erst begonnen, denn so wie die Fayu schlafen fast alle Papua nachts sehr wenig. Bald versammelten sich die Männer und wollten mehr von uns wissen. Es war schon spät, meine Knochen taten mir schrecklich weh, und ich konnte meine Augen kaum noch offen halten, als plötzlich und ohne Vorwarnung ein großer Mann die Hütte betrat. Ich erschrak fürchterlich, denn er benahm sich wie ein typischer Papua-Krieger, salutierte und sagte etwas, das ich nicht verstand. Die Atmosphäre änderte sich blitzartig. Eine spürbare Spannung lag in der Luft, alle rückten ein wenig mehr in den Schein der Kerosinlampe und wurden still. Er setzte sich hin, ohne uns anzuschauen, und übergab einem unserer Kontaktmänner, die mit uns gekommen waren, einen Brief. Keiner sagte auch nur ein Wort, während der Mann las. Dann schaute er auf und gab das Schreiben an Steffen weiter. Dieser machte große Augen: Ein außergewöhnlicher Besuch wurde uns angekündigt.
Es gibt einen Mann, der in der Unabhängigkeitsbewegung von West-Papua vor langer Zeit schon zur Führungsfigur geworden ist: Mathias Wenda. Er wird seit fast 40 Jahren von der indonesischen Regierung gesucht und hat es immer wieder geschafft, dem Tod zu entrinnen. Mathias Wenda ist einer der Mitbegründer der Freiheitsbewegung OPM (Organisasi Papua Merdeka). Seit Anfang der 70 er Jahre hält er sich im Urwald von West-Papua versteckt, wandert von einem Ort zum anderen, und doch gelingt es ihm, die Freiheitsbewegung zu leiten.
Vor meiner Reise hatte ich einen Bericht über ihn gelesen, von einem Journalisten, der ihn getroffen hatte. Seine Beschreibung von diesem Mann rief bei mir Gänsehaut, ja ein seltsames Gefühl der Angst hervor. Mathias Wenda wurde als ein kalter und brutaler Mensch beschrieben, der über Leichen gehe und durch die Jahre der Abgeschiedenheit und relativen Isolation jeglichen Realitätssinn verloren habe.
Die Papua aber verehren diesen Mann und haben ihn zum Helden der Freiheitsbewegung und zu einer lebenden Legende erhoben. Ich stellte mir vor, was dieser Mann in seinem Leben bereits alles gesehen und durchgemacht haben
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