Ruf Des Dschungels
versammelt hatte, umso nervöser wurde ich. Keiner lächelte. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen. Steffen war schon ganz durchgeschwitzt, und ich hatte das Gefühl, dass meine Beine mich nicht mehr lange tragen würden. Ich war sehr erleichtert, als ich mich schließlich im Schatten eines Palmendaches hinsetzen konnte.
Bald versammelten sich alle in der Hütte. Es wurde ein langer und kräftezehrender Tag. Wenn man in Papua eine bestimmte Eigenschaft braucht, dann ist es Geduld, viel Geduld. Denn hier hat alles – insbesondere Begrüßungen – seinen geregelten Ablauf, fast wie ein Ritual. Wird man jemandem persönlich vorgestellt, so schmückt der andere seine Erwiderung erst einmal mit zahlreichen Geschichten aus, was sich ewig hinziehen kann. Danach folgen Willkommensreden. Man fühlt sich fast an die legendäre Gastfreundschaft der alten Griechen erinnert.
Nachdem alle Formalitäten beendet waren und wir gegessen und getrunken hatten, fing das eigentliche Gespräch an. Natürlich wollten alle wissen, warum wir hier waren. Noch immer war die Stimmung von Misstrauen geprägt. Ich war dankbar, dass Steffen dabei war und begann, all die Fragen zu beantworten. Er erklärte in ruhigen Worten, wer genau wir waren und warum wir diesen Ort aufgesucht hatten. Je länger er redete, desto mehr veränderte sich die Atmosphäre. Durch das Kopfnicken der Ältesten bemerkte ich, dass sich die Lage entspannte und man positiv zur Kenntnis nahm, was Steffen sagte. Als wir den Flüchtlingen dann erzählten, dass wir Lebensmittel und Medikamente für sie dabei hatten, schlug ihre immer noch etwas reservierte Stimmung endgültig um. Mit überwältigender Freude und Dankbarkeit nahmen sie die Geschenke an. Ich hingegen bekam ein Gefühl, als ob mir jemand das Herz herausreißen wollte. Es war eine Mischung aus Traurigkeit, Hilflosigkeit, ja fast Scham – denn unsere Hilfe konnte nur als Tropfen auf dem heißen Stein bezeichnet werden.
Wie schlimm die Lage der Flüchtlinge wirklich war, sollte ich erst später erfahren. Da der Abend nahte, luden sie uns ein, bei ihnen zu übernachten. Diese Einladung sollte sich für unsere Reise als sehr wichtig herausstellen, denn in dieser Nacht geschah etwas, das weder Steffen noch ich hatten ahnen können.
Während die Männer den Jeep ausluden, ging ich zu den Frauen und Kindern, die in der Pfahlhütte saßen. Ich wollte mit ihnen über ihr Leben sprechen. Eines habe ich in meiner Arbeit, im sozialen wie auch im politischen Bereich gelernt: Die Frauen halten sich zunächst zurück, doch wenn man ihr Vertrauen gewinnt, bekommt man eine klare und realistische, oftmals auch eine viel umfangreichere Einschätzung als von den Männern, die eigentlich nur für die Sicherheit verantwortlich sind. Hier bei den Flüchtlingen kümmerten sich die Frauen um das Essen, das Wirtschaftliche und um die Kinder.
Eine junge Mutter fiel mir besonders auf. Etwas an ihr strahlte Stärke und Selbstbewusstsein aus. Wir freundeten uns schnell an, und ich bat sie darum, mir die Umgebung zu zeigen und über ihr Leben zu sprechen. Sie nahm mich mit, und während wir durch die Gärten liefen, begann sie zu erzählen.
Ihr Name war Mita [8] , sie war verheiratet und hatte zwei kleine Kinder. Nachdem ihr Dorf vor einigen Jahren vom indonesischen Militär niedergebrannt worden war, floh sie mit ihrem Mann nach Papua-Neuguinea. Sie hatten gedacht, dass sie dort ein besseres Leben führen könnten, doch das sollte sich als Irrtum herausstellen. Sie zeigte mir die Narben an ihrem Körper. Indonesische Soldaten, die illegal über die Grenze gekommen waren, hatten sie geschlagen und misshandelt. Es war ein Wunder, dass sie überlebt hatte.
Welche Zukunft haben diese Menschen, wenn sie noch nicht einmal hier sicher sind vor den Übergriffen des indonesischen Militärs?
Sie sagte, ich solle ihr folgen, und nahm mich mit zu einem Teil des Gartens, der vollkommen verwüstet war. Vor zwei Wochen, so erzählte Mita, wurden sie mitten in der Nacht durch Warnschreie aus dem Schlaf gerissen. Der Wachmann, der am Rand der Piste stationiert war, beschwor alle, sie sollten fliehen, denn eine Truppe von Soldaten sei auf dem Weg in ihr Dorf. Sie nahmen ihre Kinder und liefen in den Urwald. Es regnete und war kalt. Stundenlang harrten sie im schützenden Dickicht aus, bis die Soldaten wieder abzogen. Sie hatten die gesamten Gärten zerstört und alles in den Hütten kaputtgeschlagen, doch diesmal war es dennoch glimpflich
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