Ruf Des Dschungels
schwachen Schein der Kerze duschte ich mich kurz ab und schlüpfte erfrischt in trockene Kleider.
»Willst du was essen, Sabine?«, fragte Papa.
»Nein, danke, ich habe keinen Hunger, ich bin viel zu müde«, antwortete ich – gähnend, aber glücklich. Ich nahm meinen Rucksack mit den Kleidern, die Fotoausrüstung und die Taschenlampe und machte mich auf den Weg zu meiner Unterkunft. Aron, der mit mir im »Gästehaus«, wie Papa es nannte, wohnen würde, war schon vorausgegangen und hatte ein paar Kerzen angezündet. Langsam tastete ich mich im Dunkeln über den rutschigen Pfad auf das flackernde Licht zu.
Als ich die Tür aufdrückte, wartete Aron bereits auf mich und zeigte mir mein Zimmer. Auch hier gab es nur spärliches Mobiliar: Lediglich ein Bett mit einem Moskitonetz und ein kleiner Holztisch mit zwei Stühlen standen darin. Ich ließ den Schein der Taschenlampe über den Boden wandern und entdeckte mehrere tote Kakerlaken, die ich mit dem Fuß beiseite schob. Schließlich hatte ich keine Lust, in der Nacht Reste von zerquetschten Kakerlaken von meinen nackten Sohlen abzukratzen, sollte ich aufwachen und zur Toilette müssen.
Ich fragte mich, wie es meiner 14 -jährigen Tochter Sophia jetzt erginge, wenn sie hier bei mir wäre. Sie fürchtet sich vor allem, was kreucht und fleucht, und selbst beim Anblick der kleinsten Spinne auf dem Boden würde sie am liebsten gleich die Wände hochklettern. Beim Gedanken daran musste ich lachen. Nein, das hier wäre ganz sicher nicht ihre Welt. Meine jüngere Tochter Vanessa mit ihren vier Jahren liebt dagegen die gesamte Tierwelt und hat so lange um ein Haustier gebettelt, bis ich ihr eine Katze besorgt habe. Allerdings ist das Betteln dadurch nicht weniger geworden, jetzt wünscht sie sich auch noch einen Hund.
Da fiel mir ein, dass auch meine arme Mutter all die Jahre mit meiner skurrilen Tiersammlung, die bald in eine Tierzucht ausgeartet war, umgehen musste. Vor allem, als meine Spinnen gebrütet hatten und die Jungen aus den Eiern schlüpften. Das ganze Zimmer war voller winziger Spinnen, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen waren …
Ich stellte meinen Rucksack und die Fotoausrüstung in einer Ecke ab, und nachdem ich Aron eine gute Nacht gewünscht hatte, kroch ich unter das Moskitonetz. Wie herrlich sich das trockene, warme Bett anfühlte!
Mein Zimmer
Ich blickte nach oben, betrachtete das vertraute Netz über mir und hörte auf die Geräusche der Natur. Schon als Kind hatte ich das Trommeln des Regens auf dem Wellblechdach geliebt. Wie ein Rhythmusorchester wurde das Prasseln erst leiser, dann lauter und wieder leiser, je nach Stärke des Regens. Wie sehr ich diese Musik vermisst hatte – ein Wiegenlied, das mich als kleines Kind so oft in den Schlaf gesungen hatte. Ja, ich war wieder zu Hause, zurück in einer Welt, die meinem Herzen unendlich vertraut war. Eine Welt, von der ich mich hatte abwenden wollen, die sich jedoch nie gegen mich gewendet hat, die mich mit vielen Erinnerungen zu sich zurückgerufen hat.
Und in dieser Nacht träumte ich wieder davon, wie ich barfuß durch den Dschungel lief, wie ich in dem kühlen Fluss schwamm, wie ich am Horizont einen atemberaubenden Sonnenuntergang über dem endlosen Grün bewunderte.
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4 Unser Dorf Foida
P lötzlich wurde ich aus meinen Träumen gerissen. Es war noch immer dunkel draußen, das weiche Morgenlicht drang kaum durch die dichte Vegetation des Dschungels.
Ich hörte Stimmen, die ich zunächst nicht zuordnen konnte. Doch dann fiel es mir ein: Die Trauerfeierlichkeiten hatten begonnen, wunderschöne Gesänge zu Ehren der Verschiedenen und zur Erinnerung an die Toten. Heute besangen sie Tuares Mutter.
Die Fayu benutzen lediglich drei verschiedene Töne und erzeugen damit jedoch ganze Lieder, in denen sie unzählige Erinnerungen an die Verstorbenen aufleben lassen. Auf diese Weise erwecken sie die Personen wieder zum Leben und erinnern an all die schönen Momente mit ihnen. Diese Rituale können bis zu mehrere Monate dauern, je nachdem, wie alt der Verstorbene war und welche Position er im Stamm innehatte.
Was ich an jenem Morgen noch nicht wusste und erst später herausfand: Der Name der betrauerten Person kommt niemandem mehr über die Lippen, nachdem die Trauer abgeschlossen ist. Sobald die letzte Träne geweint und das letzte Trauerlied verklungen ist, existiert dieser Mensch für die Gemeinschaft nicht mehr. Und da fiel mir wieder ein, dass selbst in den alten Zeiten, als die
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