Ruf Des Dschungels
nach meiner Tochter benannt worden war.
Man hätte meine Funktion also mit der einer Patentante vergleichen können, nur dass man bei den Fayu nicht vorher gefragt wird. Die Kinder werden einfach nach jemandem benannt, und automatisch ist diese Person dann mit für sie verantwortlich. So war Sophia-Bosa in gewisser Weise jetzt auch meine Tochter.
Ich winkte das Mädchen zu mir und umarmte es herzlich. Jetzt lächelte sie mich zaghaft an, und ich konnte deutlich erkennen, wie stolz sie war, hier neben mir zu sitzen.
Da hörte ich Papas Stimme, und kurz darauf kam er um das Gebäude auf uns zu. Die Frauen winkten ihm zu und redeten alle gleichzeitig drauflos, was ihn zum Lächeln brachte.
»Wie groß Sabine geworden ist!«, riefen sie begeistert. »Wir sind ja so glücklich, dass du sie zu uns zurückgeholt hast.«
Nach ein wenig Wortgeplänkel wandte sich Papa seinem eigentlichen Ziel zu: Kloru, der immer noch zusammengesunken an einem der Pfähle der Veranda lehnte. Papa kniete vor ihm nieder und rieb seine Stirn an der des Fayu. Er stimmte ein Lied an, einen der typischen, aus drei Tönen bestehenden Klagegesänge, der davon handelte, wie traurig er war, dass Kloru seine Frau verloren hatte. Bald fiel Kloru in den Gesang ein, und die beiden sangen für etwa zehn Minuten gemeinsam weiter.
Sophia-Bosa (rechts) mit zwei Freundinnen
Fasziniert hörte ich zu und stellte mit einem Mal fest, wie eng Papa inzwischen mit dem Leben und der Kultur der Fayu verwoben war. Als ich ihn später darauf ansprach und nach seiner Rolle im Dorf fragte, erklärte er mir, dass er anfangs nur ein Gast war. Nach all den Jahren sei er aber zu einem Teil ihres Sozialgefüges geworden, zunächst zu einem Bruder, und nun war er längst ein Großvater und einer der Ältesten in der Gemeinschaft. Er hatte seinen Platz im Stamm der Fayu, und er nahm seine Rolle sehr ernst. Einige Aufgaben waren ihm automatisch zugefallen, darunter auch das gemeinsame Trauern mit Hinterbliebenen.
Nachdem Papa sein Klagelied beendet hatte, entdeckte Kloru mich und winkte mich zu sich herüber. Sofort stand ich auf, ging zu ihm und rieb meine Stirn an der seinen. Etwa fünf Minuten lang klagte er mir sein Leid – dass er sehr traurig sei und viel weine. Ich fühlte mich schrecklich, weil ich in der mir fremd gewordenen Sprache einfach keine Worte fand. Also saß ich nur da und hielt seine Hand. Danach rieb er wieder seine Stirn an meiner Stirn, sprach mir seine Zuneigung aus und bedeutete mir zu gehen. Offenbar war meine instinktive Reaktion, seine Hand zu ergreifen, richtig gewesen.
Endlich gelang es mir, mich von der Menschenmenge zu lösen und zu Papas Haus hinüberzugehen. Als ich durch die Tür trat, sah ich Papa an dem kleinen Holztisch, mit unserem Frühstück vor sich – einem ganz speziellen Frühstück allerdings.
Es ist mir wirklich peinlich, dies zuzugeben, und es entspricht auch ganz und gar nicht meiner Auffassung von gesunder Ernährung, aber hier in West-Papua sind manche Dinge einfach anders. Und so bestand unser Mahl aus nichts anderem als einer Tasse löslichen Kaffees und Keksen. Allerdings nicht irgendwelchen Keksen, sondern genau denen, die ich noch aus meiner Kindheit kannte. Eine große Blechdose mit mehreren Sorten, angereichert mit allen nur denkbaren Geschmacksverstärkern und sämtlichen künstlichen Aromastoffen, die je erfunden wurden. Einfach unglaublich lecker – und unglaublich ungesund!
Da Papa und ich natürlich beide die gleichen Sorten liebten, begann die morgendliche Schlacht am Frühstückstisch um die begehrtesten Kekse, bis nur noch die übrig waren, die keiner mochte. Leider hatten wir nur zwei Dosen mitgenommen; dennoch verschwendeten wir an diesem Morgen keinen einzigen Gedanken daran, dass wir insgesamt zwei Wochen blieben. Trotzdem würden wir, dachte ich mir, nicht auf die Idee kommen, auf proteinreiche Käfer umzusteigen.
Nach dem Frühstück duschte ich den Schmutz und die Feuchtigkeit ab, die wie eine zweite Haut an mir hafteten. Als ich zurück ins Zimmer kam, machte Papa eine Bemerkung darüber, wie gut ich roch, und fügte hinzu, dass die Moskitos seine Meinung sicher teilten. Die Mücken waren in der Tat eine echte Plage hier im Sumpfgebiet der Fayu. Dennoch hatte ich mich gegen eine Malaria-Prophylaxe entschieden und als Vorsichtsmaßnahme stattdessen drei Packungen eines Medikaments für den Akutfall eingepackt.
Als ich wieder nach draußen ging, schloss sich mir Sophia-Bosa an, und gemeinsam
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