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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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dass es trotz seiner unkonventionellen Lebensweise den Stolz meines Onkels verletzt hatte, dass Miss Wraxford mir und nicht ihm – ihrem nächsten lebenden
männlichen
Verwandten – den Besitz vermacht hatte – und ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er gekränkt war. Und so schrieb ich umgehend an Mr   Montague mit der Frage, ob ich die Papiere meinem Onkel zeigen dürfe. Ich schrieb, wie gerne ich nochmals mit ihm spräche, wenn er wieder einmal in London wäre. Aber als die Tage verstrichen, ohne dass eine Antwort von ihm eintraf, fragte ich mich, ob ich ihn verärgert hatte – oder war mein Brief nie angekommen? Mein Onkel vermied angestrengt jegliche Erwähnung der Wraxfords. Aber die Spannung zwischen uns blieb bestehen, bis, zehn Tage nachdem ich an Mr   Montague geschrieben hatte, ein Brief mit dem Poststempel von Aldeburgh eintraf, an mich adressiert, in einer mir unbekannten Handschrift.
     
    Sehr geehrte Miss Langton,
     
    ich schreibe Ihnen in tiefstem Bedauern: Ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass mein verehrter Kollege, Herr John Montague, am 21. dieses Monats verstarb. Seien Sie versichert, dass ich mich Ihrer Angelegenheiten bezüglich des Wraxford-Anwesens annehmen werde. Vielleicht haben Sie die Anzeige in der
Times
gesehen, die ich in Ihrem Namen aufgab, wie
Mr   Montague, dessen bin ich mir sicher, es sich von mir gewünscht hätte. Miss Langton, ich verbleibe mit den verbindlichsten Grüßen
     
    hochachtungsvoll
    Bartholomew Craik
     
    PS: Da Sie auf Ihrer Nachricht an Mr   Montague «streng vertraulich» vermerkt hatten, sende ich sie Ihnen ungeöffnet in einem gesonderten Umschlag zurück, zusammen mit einer anderen Nachricht betreffs des Wraxford-Anwesens, die uns jüngst erreichte.
     
    John Montague war an dem Tag, nach dem er mir sein Geständnis geschickt hatte, verstorben. Aber
wie
war er gestorben? Als mein Onkel den Brief von Mr   Craik gelesen hatte, nahm er ein Taxi zum British Museum und sah die Zeitungen der vergangenen Woche aus Suffolk durch. Er kam mit der Nachricht zurück, dass John Montague ertrunken war.
    «Offenbar badete er regelmäßig im Meer, selbst bei widrigsten Witterungsbedingungen, aber dieses Mal schien die Kälte – so nimmt man zumindest an – zu viel für ihn gewesen sein: Sein Leichnam wurde am nächsten Tag am Strand gefunden. Es gab natürlich eine gerichtliche Untersuchung: Das Urteil des Coroners lautete auf einen Unglücksfall, aber er warnte vor dem Schwimmen im Meer bei extremen Witterungsbedingungen.»
    Allzu lebendig klangen John Montagues Worte in meiner Erinnerung nach: «Hinausschwimmen in die eisige Weite, bis meine Kräfte schwinden und ich in den Wellen versinke».
    «Aber hat keiner den Verdacht, dass – er ertrinken wollte?»
    «Nein, meine Liebe. Warum sollte man das annehmen? Im Januar im Meer zu baden mag nicht deiner Idee einer gesunden Lebensführung entsprechen, aber es gibt Leute, die es für ein Wundermittel für einen gesunden Kreislauf halten.»
    «Das glaube ich nicht», sagte ich unglücklich. Ich konnte die Last plötzlich nicht mehr alleine tragen. Und so gab ich ihm gegen sein Versprechen der Diskretion das ganze Papierbündel. Ich verfiel in einen schwermütigen Zustand, in dem ich mich fragte, ob mir der Tod John Montagues anzulasten sei, bis mein Onkel am späten Nachmittag erschien. Er sah ungewohnt düster aus.
    «Ich verstehe jetzt», sagte er, «warum du sofort an einen Selbstmord dachtest. Ich fürchte, es sieht sehr danach aus. Ich verstehe allerdings nicht, warum er dir überhaupt diese Aufzeichnungen sandte.»
    «Er dachte – er sagte, ich erinnere ihn an Eleanor Wraxford.»
    «Aber daran ist nichts Ungewöhnliches; immerhin seid ihr verwandt.»
    «Ich meine – er wollte, dass ich weiß, dass sie unschuldig ist, weil   –»
    «Aber wie kommst du denn darauf?», entfuhr es meinem Onkel. «Selbst wenn es je einen Zweifel an ihrer Schuld gab, diese Papiere besiegeln sie.»
    Ich sah ihn erstaunt an.
    «Siehst du denn nicht, dass Nell Clara
niemals
hätte ein Leid zufügen oder Mrs   Bryant umbringen können? Und wie ich dir gestern sagte: Wenn sie Magnus in der Rüstung eingesperrt hat, dann aus Angst um ihr Leben – und um Claras.» Und meine Existenz könnte das beweisen, wollte ich hinzufügen, fürchtete aber, er würde mich auslachen.
    «Was ist das, weibliche Solidarität? Ich verstehe dich nicht, meine Liebe.»
    «Ich glaube, ich fühle mich – ihr verbunden», sagte ich zögernd.

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