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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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erfüllt von Schmerz, an das elende Gefühl von Entsetzen, das mich nach Mamas Tod verschlungen hatte. Für Nell muss es unendlich viel schlimmer gewesen sein mit dem Galgen, der ihr drohte, und dem Wissen, dass Clara, wenn man sie fasste, dazu verdammt wäre, als Kind einer Mörderin aufzuwachsen, ausgestoßen aus der Gesellschaft.
    Aber Nell wurde nicht gefasst. Je mehr ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher schien es mir, dass sie, wie John Montague befürchtet hatte, ihrem Leben in einem schwer zugänglichen Teil des Mönchswalds ein Ende gesetzt hat. Denn wie hätte sie entkommen können, wo doch das ganze Land nach ihr suchte?
    Und wenn Clara überlebt hatte, dann musste sie unter einem anderen Namen aufgewachsen sein und ohne zu wissen, dass Nell ihre Mutter war.
    Eine vertrauenswürdige Freundin – in jedem Fall eine Frau – hatte Clara von Wraxford Hall fortgebracht, in der Frühe dieses verhängnisvollen Samstags. Dann hatte sie vergeblich fünf Tage gewartet und sich gefragt, was aus Nell geworden war, ehe sich die Nachricht von John Montagues scheußlicher Entdeckung verbreitete.
    Oder Nell lebte und hatte in einem Brief geschrieben, dass sie verloren sei, dass Clara aufwachsen solle, ohne von ihr zu wissen, dass sie Geld schicken werde, sobald es ihr möglich sei – also, sobald sie die Diamanten verkauft haben würde.
    Und angenommen, die Freundin selbst hätte Clara nicht dauerhaft aufnehmen können, aber von einer entfernten Cousine Nells namens Hester Langton gewusst, einer kinderlosen Frau von vierzig Jahren, aus einem Zweig der Lovell-Familie, die mit ihrem Mann in der Nähe von Cambridge wohnte.
    Absurd, sagte die rationale Stimme in meinem Kopf. Aber John Montague hatte die Ähnlichkeit erschüttert. Und da stehen zwei Namen nebeneinander auf dem Schaubild, zwei Mädchen, geboren im selben Monat desselben Jahres, und ihre Taufnamen haben dieselben Anfangsbuchstaben. Und etwa ein Jahr nach Nells Verschwinden hatte Theophilus Langton seine Position eines Fellow in Cambridge aufgegeben und war nach London gezogen, als habe er plötzlich ein eigenes Einkommen.
    Man muss ihnen nicht gesagt haben, dass das Waisenkind Clara Wraxford war, nur, dass es sich um ein Kind mit einer tragischen Geschichte und einem mysteriösen Wohltäter handelte, der sie bitte, das Kind wie ihr eigenes aufzuziehen.
    Eine wilde Phantasterei, ja. Aber sie würde alles erklären, und alle Teile schienen hineinzupassen, selbst die Tatsache, dass ich in die Séancen geriet. Und sie würde vor allem auch meine Seelenverwandtschaft mit Nell erklären, die ich von den ersten Seiten ihrer Erzählung an verspürt hatte, als wäre mir die Stimme, die ich aus diesen Seiten sprechen hörte, bereits vertraut.
     
    ∗∗∗
     
    Als ich am nächsten Morgen nach unten ging, war ich noch immer unsicher, was ich meinem Onkel erzählen sollte, stellte dann aber fest, dass er bereits alles über das Wraxford-Geheimnis von seinen Freunden gehört hatte und es nun kaum erwarten konnte, sein Wissen an mich weiterzugeben.
    «Mit Entsetzen dürftest du hören, meine Liebe, dass dein Haus in der Geschichte der Kriminalität berüchtigt ist. Mrs   Wraxford stellt Lady Macbeth durchaus in den Schatten; sie hat nicht nur ihre Mäzenin und ihren Gatten, sondern auch ihre kleine Tochter ermordet, und sie hat sich mit einer Halskette im Wert von zehntausend Pfund aus dem Staub gemacht   –»
    «Nichts von alldem wurde je bewiesen. Ich habe gestern den ganzen Tag Mr   Montagues persönliche Aufzeichnungen der Ereignisse gelesen, und ich glaube nicht, dass Nell Wraxford schuldig war; außer vielleicht daran, dass sie ihren Mann in Notwehr getötet hat.»
    «Nicht gerade klein, dieses ‹außer›», antwortete er. «Darf ich fragen, was die Grundlage für die Schlussfolgerung Mr   Montagues darstellt? In Eskins Bericht über die gerichtliche Untersuchung des Mordes an Magnus Wraxford – er versprach, mirdie Zeitungsausschnitte herauszusuchen – klang es nach einem abgeschlossenen Fall.»
    «Es ist meine eigene Schlussfolgerung. Aber – ich sollte nicht zu viel sagen oder dir gar Mr   Montagues Erzählung zeigen – ehe er mir die Erlaubnis dazu erteilt hat.»
    «Nun, wenn ich noch nicht einmal die Indizien sehen darf», sagte er säuerlich, «wirst du mir schwerlich übelnehmen können, dass ich mich an das Urteil der Geschworenen, der Polizei und der breiten Öffentlichkeit halte.»
    Und damit stolzierte er in sein Atelier. Ich merkte,

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