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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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zusammenfahren.
    «Nein, ehrlich, Constance. Du klammerst dich an einen Strohhalm; pass auf, dass du dir keine Albträume einhandelst. Menschen lösen sich nicht in Luft auf. Wie unheimlich die Sache mit der Ritterrüstung auch klingen mag, es gibt eine ganze Reihe von Gelehrten, die sich so ziemlich denselben Fragen widmen – die Gesellschaft für die Erforschung der Psyche zum Beispiel   –, ohne dass sie einen Schaden erleiden. Und was Magnus’ Insistieren angeht, dass Nell mit ihm nach Wraxford Hall zieht: Ich erinnere dich nochmals daran, dass wir nur ihre Version der Ereignisse haben. Du darfst deine Phantasie nicht mit dir durchgehen lassen. Mr   Montague hätte dir diese Papiere wirklich nicht zukommen lassen dürfen. Eigentlich müssten wir sie der Polizei übergeben.»
    «Du hast
versprochen
–»
    «Ich weiß. Und ich habe es auch nicht vor; es würde für uns einen ziemlichen Zirkus bedeuten. Aber mit unserem Schweigen, dessen musst du dir bewusst sein, verbergen wir Beweismaterial in einem Mordfall. Wenn Mr   Montagues Ertrinken ein Selbstmord war, dann sicher, weil er nicht nur seinen Ruf, sondern auch sein Leben in deine Hände gab   … Es sei denn, es war um seine Gesundheit schlechter bestellt, als er in dem Brief schreibt.»
    «Angst war es», sagte ich in Erinnerung an das leichte, an den Tod gemahnende Grau seiner Gesichtsfarbe. Mittlerweile war es draußen vollkommen dunkel. Ich erhob mich, um die Vorhängezuzuziehen. Die Kälte am Fenster ließ mich frösteln, und ich legte Kohle nach.
    «Diese Papiere», sagte mein Onkel, während ich das tat. «Das Beste ist, sie zu verbrennen.»
    «Nein, das kann ich nicht! Das bin ich dem Andenken Mr   Montagues schuldig, herauszufinden, was wirklich auf Wraxford geschah   –» Ich realisierte erst, als ich mich diese Worte sagen hörte, dass ich eine solche Schuldigkeit verspürte. «Und was aus Nell wurde, und außerdem könnte ich ihre Tagebücher nie vernichten, sie könnten   …»
    Der Anblick des erschreckten Gesichtsausdrucks meines Onkels ließ mich verstummen. Seine Hände machten eine stumme Geste der Hilflosigkeit, und ich sprach nicht weiter von dem Rätsel um Wraxford, bis am nächsten Tag der von Mr   Craik weitergeleitete Brief mit der morgendlichen Post eintraf:
     
    18   Priory Road
    Clapham SW
    25.   Januar 1889
     
    Miss C.   M.   Langton
    c/​o Montague und Craik, Notariat
    Wentworth Rd
    Aldeburgh
     
    Sehr geehrte Miss Langton,
     
    ich bitte Sie um Verzeihung, dass ich mich als vollkommen fremde Person an Sie wende. Mein Name ist Edwin Rhys, und ich bin der einzige Sohn des verstorbenen Godwin Rhys, M.   D.   Mein Vater war der Hausarzt von Diana Bryant, die in Wraxford Hall im Herbst 1868 ums Leben kam. Nach seinem Befund war Herzversagen die Todesursache. Obwohl es keine Anzeichen für eine andere Todesursache gab, ruinierten ihn die Gerüchte und
üble Nachrede in der Folgezeit. Im Winter 1870, physisch und psychisch gebrochen, setzte er seinem Leben eigenhändig ein Ende. Ich war immer von der Unschuld meines Vaters überzeugt, und es bleibt mein Wunsch, seinen Namen reinzuwaschen. Daher, wie Sie sich denken dürften, dieser Brief. Aufgrund der gestrigen Anzeige in der
Times
nehme ich an, dass Sie in Kürze das Wraxford-Anwesen in Besitz nehmen werden. Ich hoffe, dass unter den Dokumenten oder in dem Herrenhaus selbst Hinweise zu finden sind, die das Gedenken meines Vaters von diesem Schandfleck befreien werden. Ich habe mehrfach an Miss Augusta Wraxford geschrieben mit der Bitte um ein Gespräch, aber nie eine Antwort erhalten; ich wage zu hoffen, dass Sie eine andere Haltung einnehmen werden. Sollten Sie einem Treffen zustimmen, wo und wann immer es Ihnen passt, stünde ich ewig in Ihrer Schuld.
     
    In hochachtungsvoller Ergebenheit verbleibe ich
    Ihr Edwin Rhys
     
    ∗∗∗
     
    Edwin Rhys antwortete postwendend und mit dem wärmsten Dank auf meine Einladung zum Tee in zwei Tagen (sehr zum Missfallen meines Onkels). Mir war klar, dass er recht jung sein musste, aber der Mann, den Dora ins Wohnzimmer brachte, sah aus, als wäre er kaum älter als zwanzig. Er war zwei Zoll größer als ich, schmächtig, und seine Kleidung – ein dunkelblaues Jackett aus Velourssamt, graue Flanellhosen, ein weißes Hemd und Krawatte – entsprach dem, was meiner Vorstellung nach ein junger Mann aus Oxford oder Cambridge trug. Seine Schuhe waren vom Regen nass.
    «Es tat mir sehr leid», sagte ich, sobald wir uns am Feuer

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