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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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fester, während die Minuten dahingingen, bis das Licht so plötzlich wiederauftauchte, wie es verschwunden war.
     
    John Montagues Beschreibung hatte mich nicht auf die gewaltige Größe des Herrenhauses vorbereitet, auch nicht auf die Überfülle von Giebeln und Gauben, von denen keine zwei auf gleicher Höhe waren und die alle unregelmäßige Formen hatten. Keine einzige gerade Linie weit und breit, alles schien gebogen oder abgesackt oder gebrochen. Die Mauern waren nicht mehr grünlich, sonder schwarz von Flechten und Schimmel, und am Boden lagen Bruchstücke des Mauerwerks im Unkraut.
    «Meinen Sie, dass es einstürzen könnte, Rhys?», sagte Vernon Raphael, als wir neben der Kutsche standen. Die Luft um uns war eisig, hoch über uns konnte ich die Spitzen der Blitzableiter im Wind schwanken sehen.
    «Keine Ahnung», antwortete Edwin vorsichtig. «Wenn Wasser eingedrungen ist – und es sieht ganz danach aus   –, könnten die Deckenbalken verrottet sein. Eigentlich   … Miss Langton, ich glaube, Sie sollten sich von der Kutsche gleich wieder nach Woodbridge bringen lassen. Dort gibt es ein exzellentes Hotel   … wenn Sie nicht direkt nach London zurückfahren   …»
    Ich war sehr versucht. Aber ich wusste, dass ich mir das später nicht verzeihen würde.
    «Nein», sagte ich. «Ich bin zu weit gekommen, um jetzt einen Rückzug zu machen.»
    Sie bestanden darauf, dass ich unten warten solle, bis Edwin die Dielen untersucht hätte, während Raphael und Vine denKohlenkeller suchten und in der Galerie Feuer machten, in der Bibliothek und in dem Zimmer, das einmal, für wenige Stunden, Mrs   Bryants gewesen war und in dem ich diese Nacht schlafen würde – oder versuchen würde zu schlafen. Der Wind drückte auf die Kamine, sodass sie schlecht zogen; der Rauch mischte sich mit dem Geruch nach Fäulnis, Feuchtigkeit und Verfall. Sobald die Feuer entfacht und die Kisten nach oben gebracht waren, setzten sich Raphael und Vine in die Galerie ab, um sich selbst davon zu überzeugen, dass es keine Geheimgänge oder Verstecke gab: Ich konnte ihr Tasten und Klopfen auf der anderen Seite der Mauer hören, während ich mich neben das Feuer in der Bibliothek kauerte, in dem Versuch, die Kälte der Reise zu vertreiben, den beißenden Geruch von feuchtem Papier in der Nase.
    Edwin hatte seinen Rundgang durch die Räume dieser Etage beendet und erklärte sie für sicher, solange nicht mehr als zwei Leute gleichzeitig auf derselben Seite gingen. Hässliche Flecken an den Wänden und herabgefallener Putz in den Korridoren legten tatsächlich nahe, dass es im oberen Stockwerk hereingeregnet hatte. Unsicher war er sich allerdings hinsichtlich des Bodens der Galerie, direkt bei der Rüstung. Da war für seine Begriffe zu viel Spiel zwischen den Dielen. Jetzt durchsuchte er das Arbeitszimmer: Ich konnte hören, wie er Bücher aus den Regalen nahm und Schubladen aufzog. Mit all diesem Tun um mich herum schien das Haus nicht besonders unheimlich, und als die schlimmste Kälte aus meinen Knochen gewichen war, schlüpfte ich durch die Tür auf den Treppenabsatz hinaus, um Nells einstiges Zimmer zu sehen.
    Die aufgebrochene Tür hing in den Angeln, das Leintuch war abgezogen worden, aber eigenartig, ein Füllfederhalter mit rostiger Spitze und eine Flasche eingetrockneter Tinte – sicherlich ihre? – lagen auf dem Tisch unter dem Fenster. Meine Schritte wirbelten Staub auf, als ich zu der Kammer ging, in der Clara – in der ich? – geschlafen hatte. Ein Kinderbett ausHolz, ebenfalls unter einer dichten Staubdecke, stand in der Mitte des Zimmers. Der Raum war noch kleiner und viel dunkler, als ich ihn mir nach Nells Beschreibung vorgestellt hatte, und er rief nicht die leiseste Erinnerung wach – kaum verwunderlich, sagte ich mir selbst, da ich mich an nichts von meiner Kindheit vor der Zeit in Holborn erinnern konnte. Die Kammer hatte ein winziges Fenster, tief in die Mauer eingelassen. Das Fenster ließ sich nicht öffnen. Bei geschlossener Tür wäre der Raum so gut wie stockdunkel, was ich aber nicht auszuprobieren wagte. Ich konnte keine Belüftung entdecken.
    Ich hatte einen Blick in die anderen Zimmer geworfen, als ich den Korridor hinunterging – alle ohne Möbel, aber einige deutlich größer als diese zwei. Nell musste auf einem angrenzenden Zimmer für Clara bestanden haben, aber warum hatte sie nicht etwas Besseres in Anspruch genommen, als sie sah, was für sie vorbereitet worden war?
    Als sich meine Augen an

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