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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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unüberwindliches Hindernis zu halten, aber er lamentierte laut und oft darüber, dass Mr   Montague mir jemals diese Papiere gesandt hatte, und ich kämpfte heftig mit mir, ihm nicht nachzugeben. Erst als er Edwin Rhys, der eine Woche nach unserer ersten Begegnung mit uns zu Abend aß, getroffen hatte und merkte, dass er ihn mochte, gab er seine Zustimmung, und auch dann nur widerwillig.
    Edwin – wir waren bald zum Du übergegangen – besuchte mich in den folgenden vierzehn Tagen dreimal, vorgeblich um die Expedition vorzubereiten, die für die erste Märzwoche angesetzt war, aber mir blieb nicht verborgen, dass ein persönlicheres Interesse dahinterstand. Die Heftigkeit, mit der ich auf Nell Wraxfords Geschichte reagierte, führte mir vor Augen, dass ich, seit ich bei meinem Onkel lebte, nichts und niemanden gewünscht hatte. Mein einziger Wunsch war gewesen,
nichts zu fühlen,
nie wieder solchen Schmerz, solche Schuld und solchen Schrecken zu verspüren, wie sie mich nach Mamas Tod verzehrt hatten. Das Leben mit meinem Onkel kam mir zupass, weil er nichts als Bequemlichkeit suchte und in Frieden arbeiten wollte. An Mrs   Tremenheere und den Kindern hatte ich sehr gehangen, hatte mich an der Herzlichkeit ihres Hauses gewärmt, und doch war etwas in mir unberührt geblieben davon, wie sehr sie mir zugetan waren. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich nichts fühlte; als hätte ich allen Appetit verloren und wäre irgendwie ohne Nahrung am Leben geblieben.
    Nun war ich wieder erwacht, und ich war mir der verstecktenBlicke von Edwin bewusst, seines leichten Errötens, wenn sich unsere Blicke trafen, seiner Versuche, seinen Mut zusammenzunehmen und die Szene herbeizuführen, die – wie viele Romane glauben machten – der entscheidende Moment meines Lebens sein würde. Er sah gut aus, er war liebenswürdig, er hatte ein in seiner Feinheit beinahe weibliches Gespür. Ich war mir sicher, dass ich seine Mutter und seine Schwester nicht würde leiden können, genauso wenig, wie sie mich mögen würden. Aber von allen jungen Männern, die ich getroffen hatte, war er bei weitem der attraktivste.
    Zwischen seinen Besuchen verbrachte ich recht viel Zeit damit, über dem Rätsel zu brüten, las wieder und wieder die Aufzeichnungen auf der Suche nach Hinweisen, bis mir schließlich der Gedanke kam, an Ada Woodward zu schreiben, wenn ich herausfinden konnte, wo sie lebte. Nell hatte geschrieben, dass die Nähe zwischen ihr und Ada dahin war; sie hatte auch geschrieben, dass sie George und Ada nicht bitten könne, sie aufzunehmen – das war vor Magnus’ Tod gewesen. Aber sie waren seit ihrer Kindheit die engsten Freundinnen gewesen; und vielleicht würde Ada bei der Lektüre der Tagebücher etwas verstehen, das mir entgangen war. Obwohl ich Edwin nichts gesagt hatte, schien es mir, dass das Einzige, was unbedingt verborgen bleiben musste, der letzte Teil von John Montagues Erzählung war – und das vor allem deshalb, weil es das Bild von Nell als einer verrückten Mörderin verstärken würde. Schließlich beschloss ich, für Edwin und Vernon Raphael Auszüge von John Montagues Erzählung abzuschreiben, und zwar von seinem Bericht des ersten Treffens mit Magnus bis zu Cornelius’ Verschwinden, und die Existenz weiterer Aufzeichnungen zu leugnen. Edwin allein hätte ich auch das Übrige gezeigt, aber ich war mir seiner Verschwiegenheit nicht ganz sicher.
    In der Bibliothek meines Onkels fand ich ein zerfleddertes Exemplar von Crockfords Klerusverzeichnis von 1877,und darin Pfarrer George Arthur Woodward, wohnhaft in St Michael’s Close 7, Whitby in Yorkshire. Einen anderen George Woodward fand ich nicht, aber ich konnte natürlich nicht sicher wissen, ob es der richtige war. Und so setzte ich einen Brief an Mrs   G.   A.   Woodward an diese Adresse auf mit der Frage, ob sie die Ada Woodward wäre, die Eleanor Unwin gekannt hatte, die ich unbedingt ausfindig machen wollte (ich tat so, als wisse ich nichts von dem Rätsel um Wraxford), und ob sie gegebenenfalls zu einer Korrespondenz mit mir bereit wäre. Aber eine Woche, dann eine zweite verstrich ohne Antwort, und ich wollte nicht nochmal schreiben. Die einzige andere Möglichkeit war das Dienstmädchen Lucy, die Nell gemocht und der sie vertraut hatte. Aber ich kannte noch nicht einmal ihren Nachnamen, wusste nur, dass ihre Familie in Shropshire gelebt hatte, und das war zwanzig Jahre her. Mir blieb nichts, als zu grübeln und die Tage bis zum sechsten März zu

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