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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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zählen.
     
    ∗∗∗
     
    «Meine Damen und Herren, wenn Sie bitte Ihre Plätze einnehmen würden, wir sind beinahe so weit.»
    Schatten tanzten über die Wände, als Vernon Raphael seine Laterne hob und uns zu einer Reihe Stühle führte, die wie Sitzreihen in einem Theater gegenüber der Rüstung am anderen Ende des Raumes angeordnet waren. Kohlen glühten in einem kleinen Kamin. Obwohl das Feuer seit Stunden brannte, hatte es auf die Eiseskälte in der Galerie wenig Einfluss gehabt. Die einzigen anderen Lichtquellen waren Kandelaber rechts von und über der Rüstung. Weiter oben spiegelten sich die Flammen in der Schwärze der Fenster.
    «Miss Langton, nehmen Sie doch bitte den Stuhl neben dem Feuer.»
    Sein bleiches Gesicht und das weiße Hemd senkten sichRichtung Boden, als er sich verbeugte und mit theatralischer Gebärde auf meinen Platz wies. Er war feierlich gekleidet, mit einem langen schwarzen Umhang über den Schultern. Edwin kam näher und bot mir seinen Arm, den ich ablehnte, indem ich ihm bedeutete, dass ich meine beiden Hände brauchte, um meinen Umhang festzuhalten. Unsere Schritte hallten wider, als wären wir eine Gruppe von einem Dutzend, und nicht von fünf Menschen.
    Ich setzte mich auf den angewiesenen Stuhl, Edwin neben mir. Rechts von ihm saß Professor Charnell, ein weißbärtiger kleiner Mann, die Haut wettergegerbt, agil wie ein Affe, dann Professor Fortescue, ein vertrauenerweckender Gentleman mit einer gesunden, rosa Gesichtsfarbe und kleinen, funkelnden Augen. Zuletzt kam Doktor James Davenant, der einen Augenblick länger stehen blieb und sich in der Galerie umsah. Er war der Größte in der Gruppe, hager und sehr aufrecht. Sein graues Haar war streng zurückgekämmt, während ein dichter Vollbart den unteren Teil seines Gesichts verbarg. Tags trug er eine verdunkelte Brille. Wie Edwin erzählt hatte, war er in jungen Jahren auf einer Reise in Böhmen bei einem Feuer verletzt worden, wobei seine Augen in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Er schien vor allem zuzuhören und zu beobachten, aber mir fiel auf, dass die anderen Männer sich ihm fügten. Laut Edwin war er das einzige Mitglied der Gesellschaft, das Vernon aufrichtig schätzte. Er war ein angesehener Kriminologe und war bei verschiedenen Gelegenheiten von Scotland Yard zurate gezogen worden, erst kürzlich wieder, bei den entsetzlichen Morden in Whitechapel.
    Vernon Raphael ging durch den Raum, bis er bei der Rüstung stand, wo er seine Laterne abstellte und sich zu uns umwandte. In dem flackernden Licht der Kerzen schien die Rüstung vor und zurück zu schwanken, und die Kerzenflammen spiegelten sich in der Schneide des Schwerts. Ich konnte gerade so die Drähte erahnen, die von dem Sockel der Rüstungan Vernon Raphaels Füßen vorbei und unter der Tür hindurch zum Generator in der Bibliothek führten. Auf seine Aufforderung hin hatten wir die Maschine untersucht. Auch nach zwanzig Jahren, hatte er gesagt, sei sie noch betriebsbereit. Sie glich einem riesigen Spinnrad aus Metall und poliertem Holz, nur dass anstelle eines einzelnen Rades ein halbes Dutzend große Glasplatten nebeneinander angebracht waren. St John Vine – ein düsterer, stiller junger Mann, dem ich den ganzen Tag kaum begegnet war – hatte die Kurbel betätigt, zunächst langsam, dann immer schneller, bis die Platten zu drehenden Lichtstreifen wurden. Vernon Raphael hielt zwei Holzstäbe mit Drähten; er verringerte den Abstand zwischen ihnen immer mehr, bis sich zwischen ihnen mit einem heftigen Knall ein blauer Funken bildete.
    «Meine Damen und Herren», wiederholte er, als säßen vor ihm fünfzig Zuschauer, «Sie werden sogleich Zeugen der Séance werden – des Seelenexperiments, wenn Sie so wollen   –, das Magnus Wraxford in der Nacht auf Samstag, den dreißigsten September 1868, hatte durchführen wollen. Es bedarf hierbei keines Rätselns. Wie wir aus Godwin Rhys’ Bericht wissen» – hier deutete er eine Verbeugung in Edwins Richtung an   –, «beschrieb er genau, was er tun wollte. Sie mögen sich fragen, welchen Sinn es hat, ein Ereignis zu rekonstruieren, das niemals stattfand. Für den Moment kann ich Sie nur bitten, Ihren Zweifel zu vergessen.
    Wäre Mrs   Bryant in der Nacht des Neunundzwanzigsten nicht gestorben – dazu kommen wir später noch   –, wären fünf Personen zur Séance zugegen gewesen: Magnus und Eleanor Wraxford, Mrs   Bryant, Godwin Rhys und der verstorbene Mr   Montague. Magnus Wraxford hätte

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