Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
Vom Netzwerk:
dar, die alles Licht, das auf sie fiel, sofort zu verschlingen schien.
    Oder beinahe alles, denn da war ein Hauch von Gelb – nein, zwei schwache Spuren von Licht nebeneinander an der Vorderseite des Helms. Es konnten keine Reflexionen sein, dennsie bewegten sich nicht, wenn die Kerzenflammen es taten, und je länger ich sie anstarrte, desto heller wurden sie.
    Ein vernehmliches Atemholen bestätigte, dass jemand anderes sie wahrgenommen hatte. Der Schimmer kam von innen, er drang dort durch die Schlitze, wo Raphaels Augen sein mussten. Ich sah Edwin an, in dessen Gesicht ich dieselbe Angst lesen konnte, die ich selbst empfand.
    Das Licht wandelte sich, wurde immer dunkler von Gelb über Orange bis zu einem feurigen Blutrot. Währenddessen wurde ich eines tiefen, vibrierenden Brummens gewahr, es glich dem Geräusch eines Bienenschwarms, das aus dem Nichts zu kommen schien. Edwin griff nach meinem Arm und machte eine Bewegung, als wolle er aufstehen, als eine Stimme ertönte – Doktor Davenants, glaube ich   –, die ruhig, aber bestimmt sagte: «Bewegen Sie sich nicht, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.»
    Blendendes Licht erfüllte die Galerie, einen Moment später wurde das Haus von einem Donnerschlag erschüttert. Ich war blind und taub; ich sah noch die diamantengleichen Muster des Lichts. Als das Nachbild verschwand, bemerkte ich, dass alle Kerzen ausgegangen waren; abgesehen von dem schwachen Glimmen neben mir war es vollkommen dunkel.
    Dann war das Geräusch schneller Schritte von der Bibliothek her zu hören. Ein Lichtschein fiel über den Boden, die Tür flog auf, und St John Vine, eine Laterne in der Hand, stürzte sich auf die Rüstung und riss das Schwert zu sich. Die Platten sprangen auf, der Schein der Laterne wurde ruhiger und wir sahen, dass die Rüstung leer war.
    Die anderen drängten nach vorne; ich blieb auf meinem Stuhl, war ich mir doch meiner Standfestigkeit nicht sicher. Lichter wurden angezündet; St John Vine schritt vor der Rüstung auf und ab, rang die Hände und sagte immer wieder: «Ich habe ihn gewarnt, ich habe ihn gewarnt.» Dann schien er sich zu beruhigen und wandte sich an mich.
    «Es gibt noch eine Chance. Vernon nahm mir das Versprechenab, dass wir, wenn das hier geschehen sollte, versuchen würden, ihn herbeizurufen. Wir müssen es zumindest versuchen. Miss Langton, wenn Sie mit diesen Herren einen Kreis formen würden; ich werde den Generator betätigen. Er hat sein Leben gegeben, um uns einen Beweis an die Hand zu geben, wir dürfen ihn nicht im Stich lassen.»
    Ich versuchte vergeblich, etwas zu sagen. Edwin half mir hoch, während die anderen die Stühle umstellten. St John Vine, er war totenblass, hielt die Laterne; alle Anwesenden sahen erschrocken und ängstlich aus, mit Ausnahme von Doktor Davenant, dessen Gesichtsausdruck undurchdringlich war. Ehe ich noch ganz begriffen hatte, was geschah, fand ich mich auf einem Stuhl, Edwin links, Professor Charnell rechts neben mir. Ich saß mit dem Rücken zum Kamin und konnte so die Rüstung sehen, die für Edwin und Professor Fortescue außerhalb des Blickfeldes lag.
    St John Vine entfernte sich und ließ uns in weitgehender Dunkelheit zurück. Er schloss die Rüstung, löschte alle Lichter außer den vier Kerzen in dem Leuchter und kehrte dann an seinen Platz zurück.
    «Fassen Sie einander an den Händen», sagte er heiser, «und richten Sie Ihre gesamte Aufmerksamkeit auf Vernon. Sie können auch beten; alles, was helfen könnte, ihn zurückzubringen.» Er ging in die Bibliothek und schloss die Tür hinter sich.
    Edwins Hand war trocken und eiskalt; Professor Charnells fühlte sich wie feuchtes Pergament an. Auf der anderen Seite des Kreises konnte ich Doktor Davenants Augen glänzen sehen und einen Widerschein des Kerzenlichts, der auf seiner Stirn schimmerte. Es war zu dunkel, um sonst etwas erkennen zu können. Ich war einer Ohnmacht nahe, benommen vom Schock, aber ich konnte die Vibration spüren – oder war es nur das Zittern unserer Hände?   –, die sich in dem Kreis bildete.
    Dann flackerten alle vier Kerzen, ehe sie erloschen, und wir saßen wieder in undurchdringlichem Dunkel. Jemand – esklang nach Professor Fortescue – murmelte das Vaterunser. Er hatte «erlöse uns von dem Bösen» erreicht, als ein schwacher Schein in der Nähe der Rüstung erschien, eine undeutliche Lichtsäule, die für einen Moment in der Luft hing und dann – mit einer Bewegung, die dem Ausbreiten von Flügeln glich – die Form einer

Weitere Kostenlose Bücher